21. Juli 2019, Sonntag „Alles aus!!!“

11:28
Wenn diese Angabe überhaupt richtig ist. Ich kann die Zahlen da unten in der Ecke nicht erkennen. Ich kann nichts, NICHTS erkennen, und darf dennoch noch nicht von mir behaupten, blind zu sein. Der heillose Versuch, in diesem heillosen Chaos (sprich: mein Tisch) irgendwie und wenn überhaupt nur ansatzweise ein wenig Ordnung zu schaffen, winzige Gegenstände auf winzigen Distanzen von A nach B bewegen- nichts macht Sinn. NICHTS macht SINN!!! Wieder sprengt das Headset die Toleranzkapazitäten meines Schädels, Kopfschmerzen an allen Stellen wie eine Miliz gegen diese Einengung, Einschränkung. Ich sah gerade eben in der offenen Schublade meines Rollcontainers das volle Fläschchen Psychopax. Gestern?
Wir fuhren nach Jennersdorf, Einkaufen, und anschließend sollte und wollte ich mit dem Rollstuhl nach Hause fahren. Beide Kameras mit. Und NICHTS vor die Linse bekommen, außer meine verheulte Wenigkeit! Aber dann, dann griff ich zu meiner Tablettendose, meiner Reise-Notfalldose. Köderte gleich drei Temesta aus der Blisterpackung. Erst deswegen, weil mir die erste Filmtablette auf den Boden gefallen war, doch dann, als er mit dem Auto ankam, um mich zu holen, bat ich ihn, mir diese aufzunehmen… Und so wurden aus geplanten zwei eben drei Benzos! Angepisst hatte ich mich auch schon wieder. Was habe ich davon gespürt? Nichts! Dass ich müde wurde, früh ins Bett ging, geschlafen habe? Meine Laufmusik auf den Ohren. Ein Ärgernis nach dem anderen. Für alles zu BLÖD, ZU VERKRÜPPELT!!! Und die Musik, die Musik, die mich genau hier, auf denselben Strecken, denselben Straßen vor neun Jahren vorangepeitscht hatte, mein Leben bedeutet hatte, die Musik, mit der ich mit Anfang 18 mit den Inlineskates unterwegs war, stundenlang, große Etappen, oder zu der ich stundenlang getanzt hatte… Und dann nicht zu vergessen DIE Musiktitel, die noch wunderbare Laufmusik hätten werden können, zu denen ich Stunde um Stunde gemalt hatte, laut mitgesungen hatte… Und last but not least: Der Soundtrack meines Todes! Lisa Gerrard und die Klänge, die das Auflösen dieses niemals endenden Leides begleiten hätten sollen…

Befand mich noch irgendwo mitten im Dorf, überall Häuser, aber gesehen hat mich wohl keiner… Ich fing unkontrolliert zu weinen an, was mich 1 km später veranlasste, dem Tag mit all seinen lustigen Sprüchen und ironischen, flapsigen Bemerkungen (auf Video) zu meiner lächerlichen Situation, nun endlich den Deckel aufzusetzen, die Realität zu Wort kommen zu lassen… Und ich weinte. Weinte und wollte sterben.

Die Leinwand liegt stumm, still, tot da neben mir und verbraucht einen großen Teil des Tisches. Alles vorbei. Warum mich mit diesem wahnsinnigen Saustall abfinden, abquälen, jeden einzelnen Tag, wenn doch ohnehin alles umsonst ist?

Schmeiß den ganzen Scheißdreck weg!!!

Farben, tonnenweise Farben, Pinsel, was das alles gekostet hat. Vorbei. Aus und vorbei. Im Hals des Gefühl, von den einzelnen Gegebenheiten erwürgt zu werden…

Keine Ahnung, wie ich den Text nun korrigieren soll. Ihn mir von dem Programm vorlesen lassen und dann daraus schließen, wo Fehler stecken könnten?
Da kamen wir zumindest zu einem Konsens, abends, als ich meinte: „Ich habe Angst, dir passiert etwas, und ich bin dann nicht mehr in der Lage oder unter Beobachtung, die es mir unmöglich machen, mich ebenfalls ENDLICH umzubringen!“. An dieser Variante hatte er nicht einmal was auszusetzen. Denn dann müsse er nicht leiden, ob meines Verlustes, und ich nicht des seinigen wegens. Und ansatzweise äußert er ja auch immer wieder, dass er mich gut verstehen kann, zu verstehen sucht, dass diese Umstände für manch einen eben NICHT lebenswert sind!

Er baut hinten im Schlafzimmer das Bett noch einmal komplett auseinander. Damit der Rahmen den elektrischen Lattenrost hält und vor allem ich auf meiner Bettseite viel mehr Platz bekomme, um auch mit dem Rollstuhl an meine Liegestätte heranzukommen. Was augenblicklich nicht einmal mit dem Rollator möglich ist. Und ich kann keinen einzigen Schritt gehen. Woran sich mein Gemüt gestern im Laufe der Heimfahrt natürlich noch extra aufzuheizen wusste: Unfähig, mich wenige Zentimeter nach vorne zu beugen um so aus dem langen Strohhalm in der Flasche wenigstens ein bisschen Wasser zu trinken und das eben wieder und wieder und wieder und wieder und wieder…

18:40
Erneut alles riesengroß einstellen. Und draußen wagt doch tatsächlich die Sonne noch einen scheuen Blick über die Hügel. Und löst in mir unverzüglich Panik aus. Warum??? Warum muss das so sein, warum die ganze Zeit, warum unaufhörlich, warum ohne Pause??? Hatte ich doch verzweifelt versucht, Ruhe zu finden. In dem ich mich abstelle. Mein rechtes Bein wollte so oder so nicht aufhören zu krampfen, also erst 2,6 und dann noch einmal 1,3 mg Morphium, Hydal. Es hat den Nachmittag regnet. Ich in mir selbst gefangen, von Langeweile zerfressen, weil ich NICHTS zu unternehmen vermag! Also gönnte ich mir obendrauf noch einmal 20 Tropfen Psychopax, Benzos. Dazu eine Schale Milchkaffee mit extra viel Milch. Um sich kurzfristig, in winzigen Etappen, mal gut, ruhig und richtig anzufühlen. Aber nun rennt die BESCHISSENE Angst wie eine wildgewordene Herde Elefanten über mich hinweg, zertrampelt mich, macht oberflächlich kurzen Prozess und bringt mich trotzdem nicht um, lässt mich weiter leiden. Rasierklinge? Die Benzos, die in einer Schachtel griffbereit vor mir liegen?? WAS HABE ICH VERBROCHEN, BITTE, WAS ZUM TEUFEL???!!! IST DAS LEBEN NICHT SO SCHON LEBENSUNWERTES UND VERKOMPLIZIERT GENUG??? BEDARF ES DIESER EXTRAEINLAGEN, MISSSTÄNDE, STOLPERSTEINE, PEITSCHENHIEBE???!!!

Ganz kurz dachte ich, bei diesem Himmel, wie es wäre, „Frieden zu schließen“, nach meinen Spielregeln mit meinen Eltern Kontakt aufzunehmen, sich zu treffen, ganz unbefangen, vielleicht über ein paar Dinge zu sprechen, und dann gut…? Bevor einer krank wird? Stirbt? Dinge unausgesprochen bleiben?
Für einen winzigen Augenblick fühlte sich das so dermaßen FRIEDLICH, total RICHTIG an… Aber leider, eben nur flüchtig! Dann wurde weiter gedacht, überdacht, wie und wo und wann und was passieren könnte.

Seit das Wetter umgeschlagen war, seit wir hier im Haus sitzen, wurde ich das Gefühl nicht los, in direktem Kontakt mit meinem inneren Kind zu stehen. Ich sprach es ohne einen Laut von mir zu geben in einem fort an, in mich hinein, stellte ihm Fragen, nahm es in Schutz, bot ihm Schutz an: „Gib mir deine Hand! Ich werde dich ganz festhalten, egal was komme, ich lasse dich nicht mehr los, ich lasse dich nicht mehr alleine!!!“.
Der Himmel, die unterschiedlichen Lichteinfälle… „Wo führst du mich jetzt hin? Ja, ich kann mich daran erinnern! Genauso war das damals! Aber warum hast du Angst? Traust du dich mit mir gemeinsam einmal in den Abend hinein zu schauen? Du weißt, zwangsläufig, es MUSS irgendwann Abend und Nacht gewesen sein!“, ein fortwährender Dialog im Kopf. Oder doch Monolog, des Kind sprach nicht mit mir, aber stellte unter Beweis, dass es mich hört, dem es auf jeden meiner Sätze ein funkenagelneues längst vergessenes Bild der Vergangenheit aus der Versenkung holte und uns beide für 1 Sekunde darin platzierte. Mit allem, was dazugehörte: Wie es gerochen hat, wie es geschmeckt hat, wie der Lichteinfall ins Auge fiel, und erst recht wie es sich angefühlt hat!

Augenblicklich wünschte ich nur, Sebastian würde mich in den Arm nehmen, für die nächsten 5 Minuten, und mir etwas erzählen, was mit dem ganzen Mist hier nichts zu tun hat, mich rausholen, ich kann nicht mehr, ich bekomme keine Luft mehr!!!

Ich spüre das dringende Verlangen, diese neue Verbindung zu zeichnen, das innere Kind, mich als Kind, an meiner eigenen, erwachsenen Hand aber ich kann nicht. Ich bin unfähig, es überhaupt nur zu versuchen, egal wie hässlich es werden würde, ich schaffe die Hürde bis zum Anfangen schlicht und ergreifend nicht! Zudem ist mir schlecht. Wie schon gestern nach den drei Temesta. Der letzte Rest vom Tee. Ich wollte doch das neue Material sichten, jedoch einige Komplikationen stellten sich in den Weg, Daten mussten verschoben werden, das dauerte ebenfalls den ganzen Nachmittag, und jetzt JETZT? Scheint die Luft raus! Die Panik zu groß! Erst recht vor dem, was ich da sehen müsste! Selbst wenn ich nur fragmentarisch Fetzen wahrnehmen kann…

Ich hasse mich! Mein kugelrunder Bauch blinzelt permanent unter meinem ärmellosen Oberteil hervor! Ich hasse mich und mein Leben, weil es so BEHINDERT ist, und das alle anderen Leben mitbeeinträchtigt, unnötig erschwert! Ich hasse mich, weil ich Angst habe! Aber VERDAMMT NOCH MAL NICHT WEISS, WO DIESE ANGST HERRÜHRT NOCH WIE ICH SIE ABSTELLEN KÖNNTE!!!

28. August 2017, Montag

8:41
59,5 um 6:45 Uhr. Das rechte Bein ist wieder geschwollen, der Fuß abends kugelrund…

Schweinshaxe!!!!

Und nicht so recht wissen, wo ich anfange. Am liebsten würde ich erst den Tisch abräumen, Ordnung schaffen, in Unordnung kann ich nicht arbeiten. Eines der neuen Räucherstäbchen angesteckt; als die Packung vor einer Woche mit der Post kam, und Sebastian es sich natürlich nicht nehmen ließ, das Paket aufzumachen, meinte er: „Schau, schau! Das Paket war vom Zoll geöffnet worden!“. Der Karton mit den beiden Großpackungen Nag Champa duftete aber auch so dermaßen extrem, es roch hier im Haus tagelang nach Hippieladen, ohne auch nur ein einziges Räucherstäbchen verheizt zu haben! Wunderbar! Und der Zoll dachte wahrscheinlich, da seien Drogen drin versteckt und um Hunde zu irritieren mit starken Duftstoffen umschlossen. Mein Traum heute Nacht war seltsam, eine seltsame Reise wieder einmal in Richtung Fürstenfeld. Von einem Mordkomplott, einer Mordankündigung in Form eines Briefes habe ich geträumt. Da waren lauter seltsame Nachbarn und besonders eine davon fiel immer wieder durch Exzentrik auf und natürlich dachte man jetzt, sie hätte das geschrieben, zumal sie nicht auf der Liste der Opfer stand, aber bei den Gründen, warum die jeweiligen Personen sterben müssten, handelte es sich ausnahmslos um Dinge, die sie die ganze Zeit lautstark kritisierte. Bedeutungslos?
Nachts regnete es und morgens beim Aufstehen Nebel im Graben. Wie seltsam war das immer beim Laufen, unten in der Ebene durch eine fremdartige Welt zu rennen, und kaum erklomm man irgendeinen Hügel, blauer Himmel, Sonnenschein und strahlendes Herbstwetter. Ich kann es gerade sehen, glasklar vor meinem inneren Auge. Ich höre die Musik, die ich zu dieser Jahreszeit immer präferierte… Und es tut im ersten Moment weh, um dann in Panik umzuschlagen. Aber jetzt muss ich aufhören, es gibt ohnehin nichts zu sagen; es gilt sich zu konzentrieren, um das Fleckenchaos auf den Flügeln des Schmetterlings zu entschlüsseln und auf der Leinwand umzusetzen…

10:45
2 Stunden gemalt. 2 Stunden Krämpfe. Nur deswegen nichts dagegen unternommen, weil ich jetzt Sebastian entgegengehen werde und in der Bewegung lösen sich die muskulären Neuropathien auf. Nach ein paar Tagen des Konsums kann ich nicht behaupten, dass das Cannabidiol in irgendeiner Form eine Wirkung hätte. Türen schließen, Zähne putzen und auf den Weg machen…

14:32
Der Himmel ist jetzt bewölkt und in mir brodelt stumme Wut. War das ein Zufall oder nicht? Der Spaziergang war super, zumindest die ersten 30 Minuten, in denen ich bereits 400 m geschafft hatte. Die Shuffle-Funktion meines Handys spuckte nur grandiose Musik aus, ich war kraftvoll, fühlte mich gut… Doch dann kam die Kreuzung und pralle Sonne knallte auf mich herab. So schaffte ich vielleicht 500 m insgesamt in 60 Minuten; anschließend benötigte ich sage und schreibe 10 MINUTEN um die wenigen Schritte vom Badezimmer ins Wohnzimmer zu schaffen. Aber das wäre ja noch gar kein Grund, auszurasten… Vor mir steht das Fläschchen mit dem Tramal, es wird noch zum Einsatz kommen. In Gedanken überlege ich bereits fieberhaft, wo ich meine Rasierklingendose zuletzt versteckt habe. Um 16:00 Uhr ist Sitzung.

DAS HAT DIE VERFRESSENE SAU DAVON!!!!

Er hatte mir mittags nach meinem Training einen weiteren Eiweißshake gemacht und nun wollte ich mich eigentlich gleich an die Leinwand setzen und, ich muss gestehen, noch irgendetwas naschen. Zwei Marshmallows und eine Tüte mit Schokoladekugeln landeten auf dem Rollator. Mein Blick wurde plötzlich gebannt von dem Testament, dass da immer noch über dem Regal an der Pinnwand hängt. Ich las es mir ganz langsam durch. Dann wurde die Aufmerksamkeit vom Foto darunter angezogen; jenes vom Fotografen des Museums. Das Porträt, das die Künstler dann nach der Ausstellung geschenkt bekommen haben. Macht es mich traurig oder erst recht ein Anlass mehr für die Sehnsucht nach dem nächsten Selbstmordversuch? Wie auch immer, auf dem Boden lagen viel zu viele Sachen herum, die ich nicht aufheben konnte und er hat sie nicht gesehen, weil er nie auf den Boden kuckt, ich musste rückwärts gehen, zog den Rollator zu nah an mich heran, verlor das Gleichgewicht, geriet ins Wanken, konnte meine Gehhilfe nicht mehr nach vorne schieben, die Hände zogen nur noch immer weiter nach hinten und so bin ich gestürzt, knallte gegen eine der kleinen Wände vom Küchenblog und landete im Körbchen meiner Mutter, mit dem Sebastian immer Essen holt. Den roten Knopf gedrückt, der Mitarbeiter vom Roten Kreuz verstand mich nicht, obwohl ich so laut brüllte und nach etwa 7 Minuten war Sebastian schon da: „Ich hab’s mir gedacht! Hab es mir den ganzen Tag schon gedacht, es geahnt!“. Ich blieb unverletzt aber in der Tat wollte ich, noch allein, in Tränen ausbrechen. Als ob ich für einen Moment des Glücks in meinem vermaledeiten Körper immer eine saftige Retourkutsche abkassieren müsste!! Schwer seufzen… Noch 1 Stunde und 15 Minuten bis zur Therapie. Zur Droge greifen… 40 Tropfen, doppelte Dosis. Unvernünftig, mit dem Rollator ins Bad zu fahren, um dort den linken Arm mit heißem Wasser vorzubereiten? Lieber den Rollstuhl wählen? Mich kotzt alles an!! Die Wut in mir wird lauter und lauter…

15:01 und das Halten der Rasierklinge wird mich vollends abschießen, jeden noch so winzigen Krümel an Ressourcen kosten. Dennoch komme ich nicht umhin meiner Lederhaut etwas Blut abzutrotzen. Das heiße Wasser auf der Haut war bereits Schwächung genug, nicht umsonst stand ich letztens bei unserem Einkaufsbummel wie gebannt vor den Dosen mit unterschiedlichen Cuttermessern. Die lägen besser in der Hand, sind aber nicht so scharf wie Rasierklingen. Ich denke noch an mein Spiegelbild, als wir zuvor nach Hause kamen, wie mein Bauch dick aufgebläht über meinen Hosenbund hing und über die fette Wampe hing der Rest meines Oberkörpers regelrecht drapiert, ohne jegliche Körperspannung. Ich hasse mich!…

Die Klinge ist stumpf. Wertlos. Und ich?…

EINE FEIGE SAU!!

Die Hände wieder eiskalt, als hätten sie nie Kontakt mit dem heißen Wasser gehabt. Draußen beginnt der Himmel zu weinen. Die Dosis fährt ins Gehirn. Konsterniert auf dem Rollstuhl hängen. Lethargisch. Das soll es gewesen sein? Zehn Katzenkratzer?
Irgendwo in der Rollatortasche muss noch die andere Klinge sein… Schnell gefunden, stümperhaft versteckt. Das ist weniger ein Versteck als ein Stauraum, in den man etwas wegräumt. Noch 30 Minuten bis zur Sitzung. Zeit lässt sich auch so vergeuden…
Aber kaum zu glauben! Um dieses Werkzeug ist es noch schlechter bestellt! Die flache Seite und viel zu kontrolliert. Warum nicht wie früher den Verstand verlieren und „einfach drauf los schneiden“? 25, die letzten bluten sogar und für einen kleinen Fleck auf dem Tuch reicht es alle Mal. Einen der Schlauchverbände überstreifen.

15:56
Die Parteien schonen sich nicht, ein reger Schlagabtausch… Mich anpinkeln. Natürlich erwischt es dabei das Sitzkissen, mich umzuziehen macht aus mir einen bewegungsunfähigen Zombie. Was der Körper kann, kann ich auch… Mindestens sechs Tropfen Psychopax auf die Überdosis obendrauf. Wenn es nicht sogar 10 geworden sind, ich hörte auf mitzuzählen. Markus anrufen…

18:23
Es regnet noch immer, ab und an Donner, Blitz. Ob die Sitzung etwas gebracht hat, wage ich zu bezweifeln. Definitiv spüre ich von meinem Rausch so gut wie nichts mehr, außer dessen Wirkung auf den ohnehin vorhandenen Schwindel. Sebastian will um 7 runterkommen und ich noch ein wenig malen. Ernsthaft?! Insgeheim aber am Überlegen, ob ich auf die Benzos andere Benzos draufhaue. Temesta, Gewacalm oder gleich zu den harten Bandagen greifen und jede Menge Morphium schlucken? Wäre Sebastian nicht gekommen,… die Therapie über schlummerte in mir dank Überdosis der Wunsch, mich umzubringen. Der Regen, wie am 21. Mai 2015, der Kopf einerseits leer und andererseits so fixiert auf die Idee, dem ganzen Theater endlich ein Ende zu bereiten. Ich bin so krank! Im Kopf! Die Rechte klimpert. Prompt tauchen in mir weitere Erinnerungen auf. Wie Titelseiten, die nur Schönes verheißen und nichts darüber verraten, was sich unter der Buchklappe verbirgt. Rumpelstilzchen gibt seinen Senf dazu ab, aber ich mag nicht mehr… Es mit der Farbe versuchen.

Nein, ich kann nicht mehr.

13. Mai 2017, Samstag 11:05

59,4 um 9. Mit einem schweren Seufzer zur Leinwand greifen. Die Sonne scheint, scheint nicht. Die Spatzen kommen zum neuen Buffet. Eigentlich verantwortungslos, die feinen Sämereien direkt auf die Terrasse zu werfen, aber Familie Goldammer sucht nur dort ihr Essen… Und schon kommen sie. Ich hatte einen Traum im Traum. Ich hatte das Haus verlassen, ohne Sebastian Bescheid zu sagen. Den Rollstuhl zu Hause gelassen und irgendwie landete ich an der Bushaltestelle unterhalb vom Gasthaus. Wie sollte ich es nach oben schaffen, den kleinen Abhang hoch? Da erinnerte ich mich daran, dass ich träumte und versuchte es mit Klartraumtechnik, um das Geschehen aktiv zu beeinflussen. Anstatt nun eine Ewigkeit an Ort und Stelle nicht weiter zu kommen, könnte ich mir doch genauso gut vorstellen, irgend eine magische Kraft zaubert mir meine Laufschuhe her, zieht sie mir an… Und dann hatte ich sie an den Füßen, was aber nicht gleichbedeutend damit war, nun wieder laufen zu dürfen. Stattdessen fühlten sich meine Beine regelrecht aufgelöst an, klapprig und sie zitterten vor Schwäche. Ich verschwendete meine ganze Energie auf den Gedanken, mich nun allein ohne Gehhilfe in Bewegung zu setzen. (Sonja war gestern ganz erstaunt von meiner Erzählung, früher aber auch wirklich jeden noch so steilen Berg laufend ohne Probleme und Atemnot erklommen zu haben. Sie ist keine Ausdauersportlerin.) Nun aber sah ich die Straße vor mir, sah den Lichteinfall und ich erinnerte mich plötzlich an früher, der Anblick tat so ungemein weh und weckte zugleich so viel Wehmut, dass ich sterben wollte. Über diverse Umwege entdeckte mich meine Mutter. Eigentlich wollte sie soeben mit den Nachbarsdamen in die Kirche fahren, aber nun stieg sie noch einmal aus und klammerte sich förmlich an mich. Sie wollte mit mir nach Hause gehen. Erst hatte sie nur den rechten Arm auf meine Schultern gelegt, doch je länger wir dieses kleine Stückchen neben dem Gasthaus bergab gingen, wanderte ihre Hand weiter und weiter hinunter zu meiner Rechten. Ich sah, ich spürte, dass sie meine Hand fest umklammern möchte. Mir widerstrebte das und ich versuchte sie abzuschütteln. Aber ich war zu gelähmt und schon glitten ihre Finger zwischen meine verkrampften und sie hatte gewonnen. Unten an Kreuzung und Bundesstraße angekommen, war die Verbindung komplett. Es fühlte sich beinahe an wie eine sexuelle Vereinigung. Oder ein physisches Band zwischen siamesischen Zwillingen. Es war mir so unangenehm und zugleich fragte ich mich wieder, in welchem Maße ich mich schuldig fühlen müsse, um meine Gedanken und meinen Widerwillen auszugleichen. Oder verdrehe ich die Tatsachen? Habe mich in dieser Fusion wohl gefühlt? Will es nur nicht wahrhaben?

Leise beginnt es zu tröpfeln. Markus hatte vorgestern Nacht angerufen. Eineinhalb Stunden dauerte das Telefonat erneut, an dessen Ende er mich fragte, wie jedes Mal die letzten Male, wie hoch meine Suizidgedanken auf einer Skala von 0-10 aktuell angesiedelt seien. Ich dachte kurz nach, dann: „Phasenweise bei 7.“. Darauf meinte er, ich könne mich immer noch einweisen lassen, sicherheitshalber. Zudem hatten wir uns darüber unterhalten, warum Brigitte so sehr darauf versessen ist, in diversen Symptomen, die meines Erachtens wahrlich mehr als eindeutig sind, keinen Missbrauch dahinter zu vermuten. Darauf, dass Menschen „unterschiedlich“ sind. „Wenn dem wirklich so wäre, hätten alle Symptomkataloge keinerlei Bewandtnis!“, und er gab mir Recht. Ich fühlte mich erneut wie ein Nestbeschmutzer, schlecht, schuldig ihr gegenüber, aber es ist und bleibt Fakt, dass an diesen markanten Punkten unsere Meinung eklatant auseinanderklafft. Trotz aller Individualität sind wir von einer Rasse, funktionieren nach denselben Verhaltensmustern; und auch ich bin felsenfest davon überzeugt, dass jemand mit massiver Selbstverletzung (und nun spreche ich wahrlich nicht von mir, aber sie hatte mir aus ihrer Praxis erzählt) missbraucht wurde! Und nicht „einfach nur“ eine Essstörung hat, weil die Mädchen in der Klasse dünner waren als man selbst(als Beispiel). Wer weiß, was ihre Patienten noch so verdrängt haben? Oder ihr nicht mitteilen? Was habe allein ich den ersten beiden Therapeutinnen verschwiegen?!

Scheinbar entwickle ich Sodbrennen; die letzte Kotzparade hat mir nicht gut getan, oder die erneuten Antibiotika. Ob ich heute rausfahren wollte? Ich weiß es nicht. Eigentlich hätte ich nach dem Frühstück wieder einschlafen können und im Traum dachte ich, aus dem Traum im Traum nicht mehr aufzuwachen, die Augen nicht mehr öffnen zu können, offen halten zu können. Plötzlich stellen sich Kopfschmerzen ein. Ist wohl das Wetter. Wann ist meine Oma gestorben? Dieser erste, aktiv erlebte Tod in der Familie, der so einen Schaden zusätzlich hinterlassen hat? War es etwa zum Zeitpunkt meines Selbstmordversuches? Das wäre schon ein erstaunlicher Zufall.

Das Diktieren lenkt zu sehr ab, aber wie sehen die Alternativen aus? Domian? Seine infantile Art geht mir nun nach nur wenigen Sendungen dermaßen auf den Keks, ich halte ihn schon wieder nicht aus. Musik? Ehrlich? Davor habe ich noch mehr Angst! Was diese in mir auslösen könnte. Gestern Abend doch noch so klug, mir selbst einzureden, dass die Angst vor der Angst keine Rechtfertigung dafür ist, mich prophylaktisch abzuschießen. Doch ich bin wie ein Junkie, dieser Gedanke, wird er ins Gedächtnis zu rufen, genügt völlig, die Sehnsucht danach bis in ein unerträgliches Maß zu steigern.

Die sich im Einsatz befindlichen Pinsel sind zu stumpf geworden; es liegen zwei neue parat, aber wie immer wird der Moment des Wechsels so lange hinausgezögert, bis es einer gesamten Überarbeitung mit dem neuen Werkzeug an der vorausgegangenen Arbeit bedarf. Schön blöd. Scheiß Geizkragen.

Genauso plötzlich bleibt der Blick draußen im Nichts hängen. Ein dumpfes Gefühl auf dem Brustkorb. Ich will nicht mehr. War ich überhaupt schon bei der Sache? Nein lautet die Antwort, die Hand längst so desolat, dass der dünne Pinsel ohnehin nur optisch eine Präsenz darzustellen scheint. Spüren kann ich ihn sowieso nicht. Zu allem Überfluss meldet sich da Familie Ischias, zudem irgendwie diffuse Knochenschmerzen in Armen und Händen. Es ist zu spät, einfach zu spät, um aufzustehen und erfrischt ans Werk zu gehen. Das Basteln am Video hinfällig, ebenfalls, die Aussagen von Tag zu Tag ident und lösen bei mir bereits in der Entstehungsphase Panikattacken aus. Aber wurde mir das gestern bewusst? Oder habe ich es gar geträumt? Dass mit jedem Erinnerungsfetzen, und sei er noch so fragmentiert, meine Geschichte immer mehr Struktur und Form annimmt? So dachte ich gestern über diverse Erinnerungen nach, die eine Verbindung zu anderen Flashbacks zuließen.

Der Rücken gibt den Geist auf, die Füße schlafen ein. Eine Baustelle nach der anderen. Und Fine biegt mit einer erbeuteten Maus um die Ecke, während der Donner immer lauter wird…

12:55
Da taucht ein Fragment aus dem Traum auf. Fand vorher statt. Meine Mutter machte mir alles nach. So hatte sie zu Hause unterschiedliche Säcke mit Vogelfutter angesammelt, die sie mir nun großzügigerweise übereignen wollte. War es ein Fehler, das Angebot anzunehmen? Es fühlte sich nicht richtig an. Aber die Geschichte drumherum habe ich vergessen. Lediglich das weiß ich noch, dass ich zurück zu Hause angekommen große Schmerzen in den Beinen hatte. Diese Missempfindung begleitete mich die ganze Nacht hindurch, hatte sich in den Traum gemischt und vermittelte mir dort den Eindruck, nie wieder weg zu gehen. Ich hatte zu weinen begonnen und Sebastian nahm ich nicht ernst. Darauf war ich erneut aus dem Haus geflohen…

Im beim Frühstück davon zu berichten, löste eine halbe Krise aus: „Ja, genau! Weil gerade ICH es nicht bemerken würde!“. Und da fällt mir noch etwas ein: Die Stimmung da zwischen den Futtersäcken, die vereinzelt auf den Stufen hoch zu Gäste- und Kinderzimmer drapiert standen, war wie bei dieser einen Weihnachtssituation, die immer wieder bei Dissoziationen und Flashbacks auftaucht. Oder zumindest stelle ich augenblicklich die Assoziation dazu her. Ob es eine Bewandtnis hat oder nicht, sei dahingestellt. Was war denn mit dieser einen Weihnachtsfeier? Es gab wie immer viel zu viele Geschenke, es war schön, dass mal die ganze Familie (zumindest der innerste Zirkel) in einem Haus vereint war. Und es gab Weihnachtsprogramm in der Glotze, die Muppetshow…

Keine Stunde geschafft und nach dem Zähneputzen wollte ich aufs Laufband, aber auch dazu unfähig. Die Sonne kommt raus, der Himmel im Süden bleibt dunkel und man müsste den Hügel erklimmen, um eine Wettervorhersage machen zu können. Den nächsten Bericht für Mieke abgearbeitet. Der Pirol vermittelt tropische Stimmung, und erscheint gar nicht so weit weg zu sein, aber erneut umsonst in Bewegung setzen? Käme er doch zum Restaurant. Das wär’s dann!

Vermag kaum die Brille aufzusetzen, um draußen einen Spatz mit Feder im Schnabel balzen zu sehen. Vielleicht den kurzen Lichtblick nutzen und zumindest vors Haus fahren… Schon kommt das schlechte Gewissen und sagt, ich solle den Rollator nehmen. Lasse ich mich gehen oder kann ich wirklich nicht? Und was würde passieren, hätte man mich hypnotisiert und fordere mich auf, aufzustehen und drei Schritte zu gehen? Schenke ich dem Geschwafel von Markus ernsthaft in meiner Verzweiflung Glauben? Was bleibt mir sonst? Akzeptanz oder Tod…

Kindheitserinnerungen und das linke Bein beginnt zu krampfen. Die Selbstanalyse endet nie!

18:18
Eine kleine Ausfahrt, etwas mehr als 2 km. Oben am Hügelkamm entdecken zu müssen, dass dort bereits falsche Akazie und Holunder blühen, den betörenden Duft in die Nase zu bekommen, gab mir einen Stich ins Herz. Und ja, ich bin mir nun sicher, dass mein Selbstmordversuch mit dem Todestag meiner Oma in etwa zusammenfällt. Die ganze letzte Fahrt den Berg runter hatte ich nichts anderes mehr im Kopf als diese weißen Blüten, ich dachte an den eigentlichen Plan für den 21. Mai mich draußen in den Schatten des großen Hollerbusches zu legen und den Vögeln zu lauschen, während ich abtreten darf. Ganz plötzlich kommen jetzt auch noch Tränen. Es wird Abend, die Sonne geht unter. Der Strick um meinen Hals wird enger und enger. Ich denke an den baldigen Sommer, sehe zeitgleich aber auch schon wieder den Herbst dahinter, das Sterben, den Winter… Und am Ende steht der Zusammenbruch. Was hat mich so ruiniert? Warum lebe ich nur für den Tod?… Kindheitserinnerungen mischen sich mit den Naturgeräuschen von draußen, ich sehe schöne Momente und will bei dessen Anblick doch nur abkratzen!

Sebastian sagte gestern: „Das war Schicksal, dass wir beide zusammen gekommen sind! Davon bin ich überzeugt!“. Ich sehe ihn sterben… Was ist das nur für ein verdammter Fluch, mein gesamtes Dasein für den Tod zu verschwenden?! Hätte ich nie leben sollen? Dürfen?

1 mg Temesta… Bitte hilf mir!

21:04
Das bestehende Material wurde verarbeitet. Aber die Krämpfe nehmen kein Ende. Zu bereits 2,6 Hydal und zwei Retard nach 20 Minuten weitere 2,6 mg der schnellen Morphiumsorte. Ich weiß nicht, was ich getan haben soll. Gestern zu viel bewegt, heute zu wenig, zu viel Sonne, zu viel Wärme. Eigentlich ist es unmöglich, aber das Gefühl in meiner rechten Wade gibt mir zu verstehen, dass sie sich gerne übergeben möchte. Als hätte nun SIE Sodbrennen, wäre übersäuert und möchte kotzen vor Missempfindung. Das rhythmisch wiederkehrende Zusammenziehen der Muskulatur gleicht auch einem Würgereflex. Morgen steht Muttertagsessen an, und wir haben uns dazu entschieden, dieses alleine Zuhause einzunehmen und sich dann nachmittags mit meinen Eltern in Jennersdorf zu einem Eis zu treffen. Na mehr brauche ich nicht… Sterbeneurose ahoi!!!

Mit oder ohne Abschuss und SVV?