9:06
„Was tust du mir damit bloß an?!“; das waren meine Worte gestern Abend zu Sebastian. Mal im Ernst… Macht er das absichtlich oder empfinde ich es soeben als untragbaren Zustand? Mehr noch als in anderen Phasen meines Daseins? Fenster aufgerissen, das erste Räucherstäbchen verbrennt ohne geholfen zu haben. Ich hätte in der Papiertüte in der Küche nachsehen sollen, dort, wo der Plastikmüll hinkommt. Oder im Bioeimer?
Die Schweizer Verwandtschaft war also da. Die Schwester meines Vaters. Und hat wie beinahe gewohnt „Appenzeller“ mitgebracht. Meine Eltern wollten ihn nicht. So hat ihn Sebastian bekommen. Mit der Erzählung, man hätte lediglich nach mir, „der Künstlerin“, gefragt und auch noch schöne Grüße für Sebastian ausgerichtet, meinen Bruder wiederum vergessen, samt Familie. Und so hat sich Sebastian abends mit dem restlichen Stinkekäse eine TK-Pizza verfeinert… Mir genügt es eigentlich schon, den „schlechten Kühlschrank“ für 1 Sekunde zu öffnen. Darin befindet sich immer irgendetwas, das widerwärtig riecht! Käse, Wurst, Fleisch!!! Zumindest für meine schwachen Magennerven und mich. Da genügt schon wenig, um den Verdauungssack einen Purzelbaum schlagen zu lassen. Der Gestank ist kalt bereits nicht auszuhalten. Und dann macht er sich das Zeug auch noch auf die Pizza und legt sie für 9 Minuten in die Mikrowelle!!!
Während er aß, hielt ich mir die Nase zu und atmete verzweifelt durch den Mund. Dass es heute noch so dermaßen miefen würde… Mir ist schlecht. 59,3 Kilo um 6:45 Uhr. Sättigung ist aktuell relativ zügig erreicht. Nur überhören darf ich sie nicht. Auch war ich so kurz davor ihm zu sagen, was in mir vorgeht. Es blieb bei der flüchtigen Aussage, er sei gefühlt so weit weg und dass ich mir die Schuld dafür gebe. „Hör endlich auf mit diesem Scheiß!! Wer hat dir eigentlich diesen Blödsinn in den Kopf gepflanzt?! Ich bin krank, ich fühle mich nicht gut, aber ich freue mich auf nichts mehr, als nach Hause zu kommen und du bist da!“. Der Moment war schlecht. Zwischen einer Comedysendung, Fieberthermometer und Grippebrause unterhält es sich nur schwerlich über erneute Suizidsehnsüchte…
Grandios gilt der Umstand zu bezeichnen, dass mein Rücken trotz all dieser Analgetika, dieser starken Analgetika, nicht aufhörte zu schmerzen. Und heute geht es dazu auch noch extrem flott, ehe mein Kreuz verspannt. Egal wie ich sitze… Steilvorlage für den nächsten Missbrauch. Ich wurde missbraucht, oder bilde es mir zumindest ein, und dafür missbrauche ich jetzt andere Dinge, die sich nicht wehren können. Ich höre die ganzen Tabletten in meinem Mund um Hilfe schreien… (Ironie aus!) Meine Gesichtszüge machen sich wieder selbstständig. Heute Abend steht eine kleine Grillparty an, hier, bei uns. Nicht wissend, wie ich sie überstehen soll. Allein die körperliche Problematik betreffend.
Noch warten mit dem Abschuss oder gleich anfangen? Ich wollte ja noch… Möchte doch so gern… Wäre am liebsten… Kann ich mir meinen Rollstuhlausflug knicken? Habe gleich diverse Bäume ausgemacht, in denen in den nächsten Wochen Kinder zu erwarten sind. Hauptsächlich waren es Stare, die ich fleißig beim Einzug beobachten konnte. Dazu noch eine Stelle im Wald, die total ruhig ist, wo ich mich hinstellen sollte, um die Vögel zu mir kommen zu lassen. Wieder die Kamera in der Hand; auf der Terrasse entweder ein Zilpalp oder Fitis. Hat die ganze Nacht geregnet, die schön geputzten Scheiben dreckig. Der Fokus bleibt ständig an den Regentropfen auf dem Glas hängen.
Scheinbar fehlt mir ohnehin die Konzentration, um zu arbeiten…
9:59
Erst 1 Stunde gemalt. Eine Physioübung gemacht, unterdes wieder aufgestanden, den Biokübel vor die Tür gestellt. Darin Rinde und Reste vom Käse. Das zweite Räucherstäbchen anstecken. Um den kleinen Kübel herum herrschte ein infernalischer Gestank! Bei der Gelegenheit den Vögeln ein paar Haferflocken gegeben und für die Buchfinken, also dieses eine Pärchen, ein paar Kerne direkt auf die Terrasse. Mich minutenlang abärgern, das Stromkabel der Heizdecke hat sich irgendwo am Rollstuhl verheddert -wie gewohnt. Meine rechte Hand beginnt zu klimpern; ein schlechtes Zeichen. Ich kann, ich mag schon wieder nicht mehr. Viel zu unruhig. Ich will raus! Raus aus diesem goldenen Käfig!!
Für einen kurzen Moment mich meiner Morgendosis besinnen, dessen, was ich gestern alles gefressen habe, um tief in mir irgendwo noch ein paar Ressourcen aufzutun, die mich etwas runterkommen lassen…
11:00
Zwei volle Stunden knapp verfehlt. Passend zum Sonnenschein ein Klassiker nach dem andern von der Playlist fürs Laufen 2010. Ich hab das Gefühl in den Beinen, ich weiß, wie es sich anfühlt…
Aber dabei untätig zu bleiben, macht aus der gefühlten Erinnerung eine Narbe, die wie gerade ein weiteres Mal aufbricht und blutet. Kann ich ein paar Schritte gehen? Die Einfahrt einmal runter und wieder zurück? Ich sehe den Wind, spüre den zähen Schleim hinten meinen Gaumen hinab fließen und bekomme bereits eine prächtige Ahnung davon, wie meine Kopfschmerzen hinterher aussehen könnten. Das Lied läuft immer noch, Sevendust mit „Burn“. War eines der wenigen Stücke, bei denen ich mich an die Länge des Liedes halten konnte, bis die nächste Pause ansteht. Alle 10 Minuten. Und was war ich stolz, wenn ich dann noch ein weiteres Lied geschafft habe…
Für 2 oder 5 Minuten stand ich dann. Obwohl die ersten 2 km noch in einem Mal möglich waren. Und ist schlussendlich auch nur der repräsentative Ausschnitt des stattfindenden Abbaus, der mich alsbald brechen würde. Eigentlich nicht mehr als in Stücke zerschnittene Läufe, und ich hatte immer Angst, nur ein einziger könnte denken, ich müsse halten, weil die Ausdauer nicht reicht, weil ich zu schwach bin… Scheiß Lähmung!
Lange ist’s her… Wird verstauben, schlussendlich verschwinden wie alle anderen Erinnerungen auch. Zurück bleibt der Schmerz. So war es beim Pferd, beim Tanzen, dem Inlineskaten und schlussendlich dem Laufen, das den größten Teil meines Lebens ausmachte. So wird es auch mit dem Malen sein.
Meine Hände klimpern, die Stimme bricht schnarrend in sich zusammen.
17:07
Blauer Himmel, Schäfchenwolken, zartes Grün… Postkartenidylle! Wäre da nicht dieser Wind. Allein der Blick nach draußen genügt, das penetrante Pochen in meinem Schädel wird immer heftiger. Und ich soll da hinaus? Zum Grillen? Diesen einen Punkt nach dem Mittagessen verpasst, zu lange neben dem schlafenden Sebastian auf dem Sofa geblieben, um natürlich schlussendlich selbst einzuschlafen. Das habe ich davon… Den gesamten Nachmittag bis jetzt. Mein Hintern tut weh. Entweder der Ischias oder die Sitzbeinhöcker. Genau wie die rechte Ferse, die heute Nacht so höllisch schmerzte. Teilweise baute ich den Reiz in meinen Traum ein. Und ja! Jetzt habe ich doch eine gewisse Panik davor, dass das Thema „Dekubitus“ möglicherweise nicht so aus der Luft gegriffen ist.
Oder ein Grund mehr auf meiner ellenlangen Liste, warum und wieso und weshalb ein Suizid zu befürworten wäre?
HYPOCHONDER!!!
Jan ist da. Der erste und vielleicht einzige Gast heute. Sebastian hat mir vor seinem Einkauf den Rücken mit dieser Höllensalbe (Rubriment) eingeschmiert. Vielleicht war es zu viel des Guten, zu viele von den sauren Gummibärchen, mein Magen brennt, Sodbrennen, mir ist schlecht, der ganze Körper brennt, eben nicht nur der Rücken, und ich fühle mich richtig schön beschissen. Hat er mich angesteckt? Fragen über Fragen. Vor meinem Schläfchen ein Aspro geschluckt. Nun obendrauf noch einen Magenschoner und ein Mexalen. Werde ich am Ende noch „wetterfühlig“? Ich weiß nicht wohin mit mir. Das strahlende Wetter und ich wieder in diesem elenden Käfig gefangen. Analogie zum Haus, zu meinem Körper.
21:02
Mieke kam noch und es wurde ein schöner Abend. Draußen saß ich dick eingepackt, wie ein Terrorist oder eine alte, rheumakranke und sehr, sehr gläubige Muslima. „Pass nur auf, dass dich die Polizei nicht erwischt!“, scherzte Sebastian. Und jetzt, kaum allein, wieder Kopfschmerzen. Selbst Jan, der junge Kerl, beschwerte sich über den Wind. Beide Hände klimpern. Angeblich ist Sebastian nur eine halbe Stunde oben und ich gestörte Kuh muss mir erneut meine Wunden von gestern zu Gemüte führen. Die Schnitte am Schluss waren doch tiefer…? Oder weil die Rasierklinge so glatte Schnitte hinterlässt, verschließen sich diese umso einfacher? Mich beinahe dafür schämen.
Aber vielleicht… Vielleicht gucken wir heute noch mein Video und ich kann mit der Arbeit fürs neue beginnen. Als sei das alte Projekt so lange nicht abgeschlossen, bis er es nicht gesehen hat. Die nächste Panikattacke überschwemmt mich.
21:21
Das Lied von Sevendust läuft im Hintergrund, für das Onlinetagebuch nach einem Lauffoto suchen… „Schöner“ kann man sich die Seele nicht martialisch blutig kratzen. Ich will sterben…