19. Mai 2023 „Allein“

Sebastian ist ausgegangen. Mit seinen ganzen Freunden. Erst wurde ich gefragt, ob ich zu diesem Food-Festival mitkommen möchte, dann hat er noch mal nachgedacht, dass das mit den Sitzplätzen in den Autos nicht reicht, er hat sich schlecht gefühlt, ich wollte das nicht, darauf versprach er mir, sozusagen als besänftigen oder Trostpflaster, dass wir beide dort morgen alleine hinfahren.

Ich bin aufgeschmissen! Hier alleine völlig aufgeschmissen! Wenn sogar sein Chef mittlerweile gefragt hat, warum ich in kein Pflegeheim gehe.

Mein Ischias bringt mich um. Die Tabletten zum Überstehen der Nacht jetzt einwerfen. Vermutlich noch viel mehr hinterher. Wieder eine Praxiten. Bleibt es bei der einen Tablette?

Ich hänge in einem tödlichen Schwebezustand: Weitermachen oder aufhören?

Die Nachtdosis, die 2. Pradaxa, bereits geschluckt. Seit Tagen wieder dieser Drang. Erst recht unter dem Umstand, nun so starke Blutverdünnung einzunehmen.

Das kannst du nicht machen, das kannst du ihm nicht antun, er würde es nie wieder wagen, auszugehen, sein Leben ist doch wegen dir ohnehin schon so beschränkt, du würdest es noch mehr beschädigen!

Und wie jeden Tag, seit Wochen, mehrmals und so eben auch jetzt in Tränen ausbrechen. Wieder Fieber. Nichts hilft dagegen. Meinen Kopf unter eiskaltes Wasser halten. Sollte ich rausfahren, zumindest vor die Eingangstür, dem abendlichen Vogelsang lauschen…?

Aber ich will nicht mehr. Ich will nichts mehr. Ist schlecht von meinem Leben. Und der Termin in Graz, Anfang Juni? „Nein, mir fällt auch keine Alternative mehr für Sie ein! Seien Sie doch froh, dass der aktuelle Impfstoff so gut auf die MS wirkt, das MRT spricht ja Bände! Das bisschen Fieber…“.

Ich kann, ich könnte jetzt nichts alleine. Gar nichts mehr. Außer hier zu sitzen und nicht mit irgendwelchen Betäubungsmitteln voll zu stopfen, in der schalen Hoffnung, 1 mm Erlösung erheischen zu dürfen.

Mir ist speiübel.

Dieses beschissene Dasein besteht nur noch aus der Frage, was willst du essen, reichen die Schmerzmittel, was gucken wir heute Abend… Dabei hat die Truppe so gelacht, so gescherzt, so viel Spaß gehabt… Bin ich einfach nur neidisch? Bei für mich nichts mehr normal ist? Nichts mehr „einfach“ ist? Alles eine Prozedur, eine Tortur, eine Qual…?

Mich weiter mit dem miesen Material aus diesem Frühling herumschlagen. Versuchen, eine Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Klimpern. Wo hat er das Hydal 2,6 mg hin, dass wir heute bei der Ärztin geholt haben? Die 2 2 mg sind viel zu langsam… Die letzten Tage versucht, ohne das Praxiten klar zukommen. Mir nicht noch eine Abhängigkeit heran züchten. Tja, mit dieser Stunde darf das Projekt als gescheitert bezeichnet werden!

Das Diktierprogramm funktioniert immer noch nicht richtig, nun nach der Neuinstallation. Den Text überfliegen, korrigieren? Nein… Ich warte nur noch auf den Tod, wie schon mein ganzes Leben, auf den meiner Eltern, oder schlimmstenfalls das Sebastian etwas passiert, denn ich selbst scheine ja nicht so leicht um die Ecke zu bringen zu sein… Macht der Satz Sinn? Ich habe kein Gedächtnis mehr, ich kann nicht denken, mich nicht erinnern, nicht an die einfachsten Grundregeln, alles verschwommen und verwischt. Also bin ich doch tot?