21. Juli 2019, Sonntag „Alles aus!!!“

11:28
Wenn diese Angabe überhaupt richtig ist. Ich kann die Zahlen da unten in der Ecke nicht erkennen. Ich kann nichts, NICHTS erkennen, und darf dennoch noch nicht von mir behaupten, blind zu sein. Der heillose Versuch, in diesem heillosen Chaos (sprich: mein Tisch) irgendwie und wenn überhaupt nur ansatzweise ein wenig Ordnung zu schaffen, winzige Gegenstände auf winzigen Distanzen von A nach B bewegen- nichts macht Sinn. NICHTS macht SINN!!! Wieder sprengt das Headset die Toleranzkapazitäten meines Schädels, Kopfschmerzen an allen Stellen wie eine Miliz gegen diese Einengung, Einschränkung. Ich sah gerade eben in der offenen Schublade meines Rollcontainers das volle Fläschchen Psychopax. Gestern?
Wir fuhren nach Jennersdorf, Einkaufen, und anschließend sollte und wollte ich mit dem Rollstuhl nach Hause fahren. Beide Kameras mit. Und NICHTS vor die Linse bekommen, außer meine verheulte Wenigkeit! Aber dann, dann griff ich zu meiner Tablettendose, meiner Reise-Notfalldose. Köderte gleich drei Temesta aus der Blisterpackung. Erst deswegen, weil mir die erste Filmtablette auf den Boden gefallen war, doch dann, als er mit dem Auto ankam, um mich zu holen, bat ich ihn, mir diese aufzunehmen… Und so wurden aus geplanten zwei eben drei Benzos! Angepisst hatte ich mich auch schon wieder. Was habe ich davon gespürt? Nichts! Dass ich müde wurde, früh ins Bett ging, geschlafen habe? Meine Laufmusik auf den Ohren. Ein Ärgernis nach dem anderen. Für alles zu BLÖD, ZU VERKRÜPPELT!!! Und die Musik, die Musik, die mich genau hier, auf denselben Strecken, denselben Straßen vor neun Jahren vorangepeitscht hatte, mein Leben bedeutet hatte, die Musik, mit der ich mit Anfang 18 mit den Inlineskates unterwegs war, stundenlang, große Etappen, oder zu der ich stundenlang getanzt hatte… Und dann nicht zu vergessen DIE Musiktitel, die noch wunderbare Laufmusik hätten werden können, zu denen ich Stunde um Stunde gemalt hatte, laut mitgesungen hatte… Und last but not least: Der Soundtrack meines Todes! Lisa Gerrard und die Klänge, die das Auflösen dieses niemals endenden Leides begleiten hätten sollen…

Befand mich noch irgendwo mitten im Dorf, überall Häuser, aber gesehen hat mich wohl keiner… Ich fing unkontrolliert zu weinen an, was mich 1 km später veranlasste, dem Tag mit all seinen lustigen Sprüchen und ironischen, flapsigen Bemerkungen (auf Video) zu meiner lächerlichen Situation, nun endlich den Deckel aufzusetzen, die Realität zu Wort kommen zu lassen… Und ich weinte. Weinte und wollte sterben.

Die Leinwand liegt stumm, still, tot da neben mir und verbraucht einen großen Teil des Tisches. Alles vorbei. Warum mich mit diesem wahnsinnigen Saustall abfinden, abquälen, jeden einzelnen Tag, wenn doch ohnehin alles umsonst ist?

Schmeiß den ganzen Scheißdreck weg!!!

Farben, tonnenweise Farben, Pinsel, was das alles gekostet hat. Vorbei. Aus und vorbei. Im Hals des Gefühl, von den einzelnen Gegebenheiten erwürgt zu werden…

Keine Ahnung, wie ich den Text nun korrigieren soll. Ihn mir von dem Programm vorlesen lassen und dann daraus schließen, wo Fehler stecken könnten?
Da kamen wir zumindest zu einem Konsens, abends, als ich meinte: „Ich habe Angst, dir passiert etwas, und ich bin dann nicht mehr in der Lage oder unter Beobachtung, die es mir unmöglich machen, mich ebenfalls ENDLICH umzubringen!“. An dieser Variante hatte er nicht einmal was auszusetzen. Denn dann müsse er nicht leiden, ob meines Verlustes, und ich nicht des seinigen wegens. Und ansatzweise äußert er ja auch immer wieder, dass er mich gut verstehen kann, zu verstehen sucht, dass diese Umstände für manch einen eben NICHT lebenswert sind!

Er baut hinten im Schlafzimmer das Bett noch einmal komplett auseinander. Damit der Rahmen den elektrischen Lattenrost hält und vor allem ich auf meiner Bettseite viel mehr Platz bekomme, um auch mit dem Rollstuhl an meine Liegestätte heranzukommen. Was augenblicklich nicht einmal mit dem Rollator möglich ist. Und ich kann keinen einzigen Schritt gehen. Woran sich mein Gemüt gestern im Laufe der Heimfahrt natürlich noch extra aufzuheizen wusste: Unfähig, mich wenige Zentimeter nach vorne zu beugen um so aus dem langen Strohhalm in der Flasche wenigstens ein bisschen Wasser zu trinken und das eben wieder und wieder und wieder und wieder und wieder…

18:40
Erneut alles riesengroß einstellen. Und draußen wagt doch tatsächlich die Sonne noch einen scheuen Blick über die Hügel. Und löst in mir unverzüglich Panik aus. Warum??? Warum muss das so sein, warum die ganze Zeit, warum unaufhörlich, warum ohne Pause??? Hatte ich doch verzweifelt versucht, Ruhe zu finden. In dem ich mich abstelle. Mein rechtes Bein wollte so oder so nicht aufhören zu krampfen, also erst 2,6 und dann noch einmal 1,3 mg Morphium, Hydal. Es hat den Nachmittag regnet. Ich in mir selbst gefangen, von Langeweile zerfressen, weil ich NICHTS zu unternehmen vermag! Also gönnte ich mir obendrauf noch einmal 20 Tropfen Psychopax, Benzos. Dazu eine Schale Milchkaffee mit extra viel Milch. Um sich kurzfristig, in winzigen Etappen, mal gut, ruhig und richtig anzufühlen. Aber nun rennt die BESCHISSENE Angst wie eine wildgewordene Herde Elefanten über mich hinweg, zertrampelt mich, macht oberflächlich kurzen Prozess und bringt mich trotzdem nicht um, lässt mich weiter leiden. Rasierklinge? Die Benzos, die in einer Schachtel griffbereit vor mir liegen?? WAS HABE ICH VERBROCHEN, BITTE, WAS ZUM TEUFEL???!!! IST DAS LEBEN NICHT SO SCHON LEBENSUNWERTES UND VERKOMPLIZIERT GENUG??? BEDARF ES DIESER EXTRAEINLAGEN, MISSSTÄNDE, STOLPERSTEINE, PEITSCHENHIEBE???!!!

Ganz kurz dachte ich, bei diesem Himmel, wie es wäre, „Frieden zu schließen“, nach meinen Spielregeln mit meinen Eltern Kontakt aufzunehmen, sich zu treffen, ganz unbefangen, vielleicht über ein paar Dinge zu sprechen, und dann gut…? Bevor einer krank wird? Stirbt? Dinge unausgesprochen bleiben?
Für einen winzigen Augenblick fühlte sich das so dermaßen FRIEDLICH, total RICHTIG an… Aber leider, eben nur flüchtig! Dann wurde weiter gedacht, überdacht, wie und wo und wann und was passieren könnte.

Seit das Wetter umgeschlagen war, seit wir hier im Haus sitzen, wurde ich das Gefühl nicht los, in direktem Kontakt mit meinem inneren Kind zu stehen. Ich sprach es ohne einen Laut von mir zu geben in einem fort an, in mich hinein, stellte ihm Fragen, nahm es in Schutz, bot ihm Schutz an: „Gib mir deine Hand! Ich werde dich ganz festhalten, egal was komme, ich lasse dich nicht mehr los, ich lasse dich nicht mehr alleine!!!“.
Der Himmel, die unterschiedlichen Lichteinfälle… „Wo führst du mich jetzt hin? Ja, ich kann mich daran erinnern! Genauso war das damals! Aber warum hast du Angst? Traust du dich mit mir gemeinsam einmal in den Abend hinein zu schauen? Du weißt, zwangsläufig, es MUSS irgendwann Abend und Nacht gewesen sein!“, ein fortwährender Dialog im Kopf. Oder doch Monolog, des Kind sprach nicht mit mir, aber stellte unter Beweis, dass es mich hört, dem es auf jeden meiner Sätze ein funkenagelneues längst vergessenes Bild der Vergangenheit aus der Versenkung holte und uns beide für 1 Sekunde darin platzierte. Mit allem, was dazugehörte: Wie es gerochen hat, wie es geschmeckt hat, wie der Lichteinfall ins Auge fiel, und erst recht wie es sich angefühlt hat!

Augenblicklich wünschte ich nur, Sebastian würde mich in den Arm nehmen, für die nächsten 5 Minuten, und mir etwas erzählen, was mit dem ganzen Mist hier nichts zu tun hat, mich rausholen, ich kann nicht mehr, ich bekomme keine Luft mehr!!!

Ich spüre das dringende Verlangen, diese neue Verbindung zu zeichnen, das innere Kind, mich als Kind, an meiner eigenen, erwachsenen Hand aber ich kann nicht. Ich bin unfähig, es überhaupt nur zu versuchen, egal wie hässlich es werden würde, ich schaffe die Hürde bis zum Anfangen schlicht und ergreifend nicht! Zudem ist mir schlecht. Wie schon gestern nach den drei Temesta. Der letzte Rest vom Tee. Ich wollte doch das neue Material sichten, jedoch einige Komplikationen stellten sich in den Weg, Daten mussten verschoben werden, das dauerte ebenfalls den ganzen Nachmittag, und jetzt JETZT? Scheint die Luft raus! Die Panik zu groß! Erst recht vor dem, was ich da sehen müsste! Selbst wenn ich nur fragmentarisch Fetzen wahrnehmen kann…

Ich hasse mich! Mein kugelrunder Bauch blinzelt permanent unter meinem ärmellosen Oberteil hervor! Ich hasse mich und mein Leben, weil es so BEHINDERT ist, und das alle anderen Leben mitbeeinträchtigt, unnötig erschwert! Ich hasse mich, weil ich Angst habe! Aber VERDAMMT NOCH MAL NICHT WEISS, WO DIESE ANGST HERRÜHRT NOCH WIE ICH SIE ABSTELLEN KÖNNTE!!!

Hinterlasse einen Kommentar