23. Februar 2018, Freitag „Die Schlacht am kalten Buffet-Teil XY“

8:34
59,9 Kilo um 6:45. Die gesamte Meisenfamilie trifft sich im „Chez Paridae“. Die langschwänzige Verwandtschaft, die Schwanzmeisen, die Stargäste des Tages. Es schneit und ich habe Kopfschmerzen. Diverse Sachen von A nach B räumen, die Hälfte davon landet ohnehin auf dem Boden und wird dort liegen bleiben, bis ich Sebastian vermutlich explizit darum bitte, sie aufzuheben. „Nein… Da ist nichts!“… Nachts ausgelaufen. Wieder sitze ich auf einem Turm aus Tüchern und Pippimatte (über dieses Wort haben sich die Zivildiener gestern sehr amüsiert). Das Gefühl nicht los werden, auf dem Rollstuhl nicht aufrecht sitzen zu können. Die Herrschaften bei der Rollstuhlanpassung waren aber anderer Meinung. Die Ergotherapeutin sagte, der Rückenteil würde kippen. So oder so, ich habe Rückenschmerzen, alles verspannt. Und bei der Hinfahrt vermutlich ob dieser plötzlichen Überflutung mit Stress (Volkshilfe und drei nasse Jungs im Flur, die Dreck machten) mit den Zähnen geknirscht; in Bröseln verabschiedete sich ein weiterer Teil eines Zahns.

Aber schwer seufzen und währenddessen versuchen, wieder einmal zumindest auf der Leinwand Ordnung herzustellen. Ich muss mich jetzt endlich entscheiden! Krähe eins oder zwei? Um 11:00 Uhr wieder Sitzung; die Verbindung war immer noch am besten vergleichsweise mit anderen Terminen. Da fällt mir wieder ein, geplant zu haben, die durchsichtige Schutzfolie aus Plastik, die auf dem Keilrahmen liegt, an der Stelle einzuschneiden, wo ich die Krähe platzieren möchte. Aber welche… Das ist die Frage!!

Genau genommen befinde ich mich wieder am Anfang. Vier Bilder. Krähe oder Dohle? Das Licht spiegelt sich äußerst ungünstig auf dem Leinen. Unterdes hocken gleich mehrere Amseln verteilt in den Ruinen der Himbeerstauden wie Verbrecher und beobachten sich missgünstig gegenseitig. Das Licht einschalten. Mich morgens oben rum ausgiebig gewaschen, nichtsdestotrotz stinke ich erneut zum Himmel. Das ist doch einer dieser Sätze, den ich inflationär benutze. Man könnte Werbung einbauen, für irgendein Deo, und so Geld verdienen… Oder simpel: Nur noch copy + paste! Ich muss das Headset abnehmen und mich endlich auf die beschissene Aufgabe konzentrieren! Sonst wird das nie was!! Das ganze Projekt mittlerweile (nach 1200 Stunden von „mittlerweile“ zu sprechen klingt beinahe wie ein Witz) viel zu verkopft!! Keine intuitiven Entscheidungen möglich. Saatkrähe oder Dohle? Die Augen der Dohle sind toll. Dafür sieht ihr großer Verwandter auf dem Foto eher aus wie ein Verbrecher und würde dem Täter mehr gerecht werden. Was mache ich?…

16:55
Den Tag den Bach runter gehen lassen. Im erneut zweieinhalb Stunden dauernden Gespräch mit Markus wurde klar, warum ich mich kurz davor doch für die Dohle entschieden habe. Diese graue Kapuze… Eigentlich weiß, soll das schwarze Gesicht verdecken, ist aber beschmutzt und deswegen grau. Die Augen… Sie sind anders als die von meinem Seelenvogel. Auch haben wir herausgearbeitet, bzw. habe ich mich hinein gefühlt, warum gerade die Nebelkrähe für mich das Symbol der Seele ist. Die schwarzen Beine, Flügel, der schwarze Kopf… Das allein genügt, um einen Umriss erkennen zu können. Eine Fassade der Seele. Aber der Torso grau. Grau wie Nebel. Ebenfalls beschmutzt und zugleich nicht fassbar, weil irgendwie gar nicht da, nicht zu mir gehörend. Die Augen der Seele sind braun, tiefgründig. Jene der Dohle stechend, gefährlich.

Da war noch viel mehr, aber ich habe nicht die Zeit noch die Energie, all dies festzuhalten. Mit wenigen Worten brachte mich mein Therapeut zurück an den Punkt, an dem ich entweder meiner Ratio oder Rumpelstilzchen Gehör schenken muss. Die Ratio gibt ihm recht. Es ist alles so dermaßen „eindeutig“. Auch fragte er heute, was Rumpelstilzchen eigentlich zu meiner MS sagt. „Das ist wie im Film vom letzten Einhorn. Der rote Stier, auf dem er reitet, und mit dem er mich zerstören will…“. Er sprach von der Theorie einer „Pseudo-MS“, davon, wie sehr die Psyche den Körper beeinflussen und mitunter eben auch zerstören kann. Die Tatsache, dass meine Lumbalpunktion negativ war, dass meine MS kurz vor meinem 18. Lebensjahr ausgebrochen ist, dem Alter also, das für mich als „Deadline“ für mein Dasein stand. Mit zu vielen Ängsten verbunden war, die ich nicht zu überleben glaubte… Außer, ich würde ein Kind bleiben. Würde nicht gezwungen sein, erwachsen zu werden. Ich wollte nicht erwachsen werden. Ich konnte es nicht. Und plötzlich ist man krank und von all den mit Horrorvorstellungen verbundenen Herausforderungen befreit. Hätte nicht besser kommen können. Passte doch zu der scheinbar bewusst getroffenen Entscheidung, es dürfe mir nicht gut gehen.

Markus hatte mit allem Recht. Würde es jemand anders genauso berichten, sofort würde ich die Zusammenhänge erkennen, ich wüsste Bescheid. Aber so sagte ich: „Doktor Ratio gibt dir recht, nickt, schreibt einen Befund, schickt ihn ab… Aber dieser wird nicht bei mir ankommen.“. Viele Zusammenhänge, viele Dinge, die ich fühlte… In mir wurde gemauert. Ich durfte es nicht fühlen, ich konnte es nicht fühlen und kaum ausgesprochen, mir selbst vorwerfen, es nur konstruiert zu haben, damit es ins Bild passt.

Mir geht es scheiße. Etwa um 15:30 Uhr saß ich auf dem Rollstuhl, nachdem ich auf dem Sofa wieder kurz eingeschlafen war. Sebastian fuhr einkaufen, das Wetter, die Straßenbedingungen sollen die nächsten Tage beschissen werden. Ich stand auf, um den Beutel zu entleeren. Kaum zurück meldete sich mein Darm, erneut schlurfte ich ins Bad… Ich konnte die neue Einlage nicht in die Unterhose montieren. Ich konnte die Hose nicht wieder hochziehen. Um während dieser zeitfressenden Prozedur unentwegt zu gähnen, immer schwächer zu werden und aus meiner Nase lief unaufhörlich Wasser. Zurück im Wohnzimmer zog es mich wieder zur Couch. Unfähig. Tief in mir drinnen pulsierende Unruhe. Als hätte mich ein Schreck aus dem Schlaf gerissen. Als wäre ich zehn Stockwerke hinauf gesprintet. Die Blase krampfte, wieder Urin in der Einlage, bestialische Schmerzen in Form von brennenden Neuropathien in beiden Händen, als würde ich diese in ätzende Säure tunken.

Zu schwach. Zu kaputt. Alles bleibt liegen. Meine ganzen Ideen.

18:29
Nervenzusammenbruch. Sebastian wollte gerade hoch, ein Fußballspiel hören und ich hatte ihn gebeten, mir noch die Hose hochzuziehen. Stand auf und lief aus… Während ich in Richtung Badezimmer schlurfte brach ich in Tränen aus: „Nein!! Ich bilde mir alles nur ein!!!… ICH bin die Gestörte!! Da ist nichts passiert!!… Und dennoch war mir beim Anblick von meinem Bild während der Sitzung zum Heulen zumute, obwohl ich davor gut drauf war… Und nicht umsonst schrieb ich in mein Tagebuch, dass die beste Methode seitens des inneren Kindes, mich zu quälen, das ist, was es am besten kann und kennt!… Aber nein! Ich bin nur hysterisch! Ohne triftigen Grund!…“, usw. und so fort. Ich weiß weder ein noch aus. Sebastian tat alles, damit ich mich wohl fühle. Rücken eingecremt, Blasentee gekocht, eine Decke über die Beine, eine Banane für den Blutzuckersturz, zudem noch ein kleiner Schokoriegel… Im Badezimmer einen Teststreifen gemacht. Nicht schlau aus dem Ergebnis werden. Warum ist so viel Glukose im Urin und zeitgleich habe ich einen hypoglykämischen Ausfall? Leukozyten waren da keine, aber alles andere war zu hoch.

Ich sehe mich am Wochenende erneut ins Krankenhaus pilgern. Bevor er ging, bat ich ihn noch um meine Medikamente: „Ich brauche jetzt eine höhere Dosis, ich will diesen Körper nicht mehr spüren!“. Sebastian meinte, er hätte volles Verständnis dafür. „Also hältst du mich nicht für einen Junkie?“. Darauf er: „Nein. Weil du es nicht leiden kannst, total die Kontrolle zu verlieren. Dafür bist du viel zu kontrolliert!“. Doppelte Dosis Tramal, 2,6 mg Morphium, ein Novalgin. Es krampft und krampft. Tröpfchenweise kontaminiere ich die fünfte Einlage an diesem Tag. Seit gestern kratzt es im Hals. Bin ich noch krank oder nicht? Das Bild vor mir im Licht der Lampe, das Lächeln, es macht mich traurig. Entweder weil ich zu diesem Zeitpunkt abzüglich des Wassers in den Beinen und Armen sicher an die 49 Kilo hatte? Oder weil es nicht ECHT ist? Eine Fassade? Nichts als eine Kulisse mit bunten Schmetterlingen… Eine lächelnde Leiche… Der nächste Blasenkrampf. Die Hände brennen. Vergebens die Versuche, am Katheter herum zu manipulieren, ihn tiefer in die Blase zu schieben. Dieses arrogante Arschloch!!! WARUM hat er keinen Urintest gemacht??? Scheiß Narzisst!!! Hab ich sein Ego verletzt??

Es wird 18:59 und ich laufe vollständig aus. Nun doch eigenmächtig die Antibiotika vom Hausarzt einnehmen? Ich werde jetzt nicht aufstehen und erneut ins Badezimmer pilgern. Ich kann, ich will nicht mehr. Ich habe meine gesamte Jugendzeit und auch in den zurückliegenden 20 Jahren, bis das mit dem Katheter losging, keine Antibiotika gebraucht. Sie werden mich schon nicht umbringen. Und wenn doch, auch in Ordnung. In meiner Pisse hocken. Ich hasse mich…

Aber warum lösen die letzten drei Worte die nächste Tränenflut aus?

Selbstverliebtes STÜCK SCHEISSE!!

Noch mehr Tramal. Erneut 40 Tropfen, doppelte Dosis. Musste dieser Absturz kommen? Ginge es mir besser, würde ich den Rauschzustand mit ein paar selbstgeernteten Endorphinen aufhübschen? Meine Rasierklingen befragen, was sie von all dem halten?

Panik.

19:19
Am Video arbeiten. Am depressiven Teil. Es krampft. Ich mach mich nass. Die Extremitäten brennen. Der Atem stockt. Aber es geht mich nichts mehr an…
Blutige Bilder von Anfang 2000 raus suchen. Passend zu der Aufnahme eines Gemetzels, kurz vor der Reha. Ja. Ich werde es einbauen. Um Aufmerksamkeit zu erheischen, auf Teufel komm raus? Oder mein verkorkstes Leben, das schon immer in der „Öffentlichkeit“ stattgefunden hat, ob ich will oder nicht, zu einem „Kunstprojekt“ zu erklären? Kunst kennt keine Grenzen. Der Öffentlichkeit ins Gesicht kotzen, was sie mit mir macht. Während (gefühlt) zugesehen wird, wie ich vor die Hunde gehe… Sebastian tut mir jetzt schon leid, das ansehen zu müsen.

19:36
Einen blutenden Himmel als Tagesintro auserkoren. Die Betäubung auskosten. Besser als mich in den induzierten Schlaf zu flüchten; die Kreativität atmet erleichtert auf, kurzfristig befreit von den Ketten der Angst…

22. Februar 2018, Donnerstag „Einschneidende Gewissensbisse…“

8:27
60,4 Kilo um 6:45 Uhr. Mein Körper meint wohl, von Salat zunehmen zu müssen.

Und das Nutella? Die Bonbons?!!

Was mache ich, was lasse ich… Bedarf es eines gewissen Leidensdrucks, um mich etwas zu trauen? Was war das abends wieder für eine Quälerei? Verdammt noch mal! Ich habe doch erst vor wenigen Tagen mit den Antibiotika aufgehört!! Mitten im Schmerz war mir klar, ich würde gleich um 7 beim Urologen anrufen, mich bestenfalls von Sebastian mitnehmen lassen, um dann von der Rettung wieder nach Hause kutschiert zu werden. Aber ach!… Wie das Leben so spielt, die Beschwerden morgens wie weggeblasen. Selbst Sebastian gibt mir recht, ich solle warten. Morgen könne er mich nachmittags ja hinfahren wo ich will, notfalls sogar nach Oberwart. Ich komme mir dämlich vor, wegen einem Harnwegsinfekt so einen Terror zu veranstalten. Abends ließ ich Sebastian noch in der Schublade mit den nicht alltäglichen Medikamenten nach Antibiotika Ausschau halten und er fand gleich mehrere Packungen; vor allem von einer Sorte eine nagelneue Schachtel, 100 Tabletten. Das müsste das Präparat sein, welches mir mein Hausarzt zuletzt verschrieben hat. Abends zwei Buscopan, Preiselbeersaft, Preiselbeertablette, 100 mg Antibiotikum und ein Novalgin. Ich fühle mich unwohl. Als würde ich etwas anstellen, ohne klare Verordnung mir selbst diese Medikamente zu verschreiben. Ich hocke wieder auf einem Handtuch. Die Matte wanderte rüber zum Sofa; dort liegt sie immer noch und ich denke, ich habe sie gestern Abend mitunter „erwischt“. Meine Blase krampfte immer wieder. Teilweise wurde so erneut Urin in die Harnröhre gequetscht und marschierte anschließend selbstbewusst in die riesengroße Einlage, die ja doch wieder nicht trocken hielt. Nachts keine weiteren Probleme. Jetzt gerade… Ich weiß es nicht! Vormittags wäre der Urologe in Jennersdorf. Nachmittags ist er in seiner anderen Praxis in Feldbach. Was ich am liebsten tun würde? Anrufen und fragen, ob das mit den Antibiotika in Ordnung geht bis Dienstag, wenn der Katheterwechsel ansteht? Aber… Ich wage es nicht. Vermutlich warte ich auf den ersten Blasenkrampf. In meinem Mund scheint einiges wund und entzündet zu sein. Wovon auch immer. Und ach ja! Bevor ich es vergesse, das muss UNBEDINGT festgehalten werden: Nachts schlurfte ich noch von der Toilette nur in Unterhose und Oberteil zum Spiegel im Flur, um mich, meinen Körper, diese abartige Schrottkiste in Augenschein zu nehmen…

SCHAU DICH AN!! WIE AUFGEDUNSEN, WIE AUFGEQUOLLEN DU AUSSIEHST!!!
WAS BIST DU FETT GEWORDEN!!! REGELRECHT FETTKNIE HAST DU GEKRIEGT!!!

Die Cellulite lässt grüßen! Die Wampe die einer Hochschwangeren! Die Oberarme AUFGESCHWEMMT, die Beine AUFGESCHWEMMT, die Hackfresse AUFGESCHWEMMT! Die rechte Hand klimpert und draußen schneit es… Dezent setzt Harndrang ein… Würde ich in diesen FREMDkörper hinein schneiden… Käme darunter mein wahres ICH zum Vorschein? Oder ist dieses längst verrottet, eine Mumie, biologischer Abfall, Giftmüll? Im Traum bin ich gelaufen. Wieder gelaufen. Ich will nicht wach sein..

Zum Kotzen! Mein Blick wandert ins Leere, verliert sich im Schneetreiben, während mir die Zeit davon läuft. Unfähig, Entscheidungen zu treffen. Welche Krähe? Welche Größe? Wohin damit? Anrufen oder nicht?
Vielleicht täte ich gut daran, erst einmal aufzustehen, meine fettige Visage zu waschen, eventuell ein anderes Oberteil, bei dem die nackten Oberarme nicht dermaßen in den Fokus geraten… Irgendetwas tun, um mich ansatzweise besser zu fühlen.

Da reicht Wasser aber nicht!! Ein alkoholisches Vollbad und zwei Monate Hungern!!! Du Fettklops!!

9:21
Gewaschen, umgezogen, Ressourcen verbraucht. Ich kann nicht stehen. So ich es wage, ohne mich festzuhalten, endet das ganze bestenfalls (so wie gestern Abend) beinahe mit dem Sturz nach hinten. Idyllisch… Sah mich gestern bereits meinen Hinterkopf mehrmals an der Kloschüssel oder dem Badewannenrand blutig schlagen.

Schon pinkelt sie sich wieder an!!

Jetzt zum Telefon greifen? Aber was soll der Arzt machen? Hätte man nicht besser mit Ende der letzten Therapie mit Antibiotika den kontaminierten Katheter noch während der Reha auswechseln sollen?

DU mit deinen DUMMEN Ideen immer! Was weißt DU schon?

Keine Ahnung, ob die Hose nicht schon voll ist. Der nächste Krampf, der Atem stockt und vermutlich tue ich mir selbst keinen Gefallen, die Heizdecke auf Höhe der Nieren kuschelig warm in Betrieb zu haben. Den Urologen angerufen, das Rote Kreuz angerufen. Mittags werde ich abgeholt. Mir einreden, krank zu sein? Unterdes wird es 9:40. Kranksein und nicht arbeiten müssen? Stattdessen die Vögel stalken? Ich habe kaum Aufnahmen für mein Video als Zwischenmaterial, Lückenfüller, um diverse Schnitte und Fehler zu überdecken. Erst einmal die Pippimatte holen…

10:02
Der nächste Anflug… Mir steigt Wasser in die Augen, beide Hände brennen bestialisch. Aber nicht nur das! Seit 20 Minuten schmerzen auch noch die Brustwarzen, als hätte ich sie mir abgefroren! Zwei Buscopan, ein Novalgin. Und auf dem Weg zum Sofa gerade eben wieder angepinkelt, wieder ins Bad, wieder Einlage und Wäsche wechseln. Jetzt sitze ich nur noch in kurzen Shorts hier. Jedes Mal eine lange Hose zu wechseln ist zu viel für meinen Körper. Ich versuche zu ergründen, wie so oft, warum… Erhoffe ich mir, dass ich es als psychosomatisches Symptom werten kann? Eine Reaktion darauf, alle Erklärungsansätze über Bord geworfen zu haben? Die Schuld lediglich bei mir zu suchen? Dem inneren Kind die rote Karte gezeigt zu haben, indem ich es verleugne? Und wie kann es mich besser quälen? Mit der Krankheit, mit der es sich am besten auskennt?! Oder gerade eben nur eine Reaktion auf die Hitze durch die Heizdecke? Oder EINFACH NUR… Wie lange müsste ich mir einreden, dass es das Kind sein muss, bis ich es wirklich glaube? Und mit Veränderung meiner Sichtweise zugleich auch eine somatische Besserung wahrnehmen darf? Mir ist schlecht. Und ich weiß, Markus würde das alles „spannend“ finden und sehr wohl behaupten, die Psyche hätte ihre Finger mit im Spiel. So meinte er gestern auch, dass der Versuch bei einer Multiplen, die Sichtweise des inneren Kindes aktiv zu verändern, ein Schuss in den Ofen sei: „Dieses Kind ist ja abgespalten! Da kommst du jetzt noch nicht dran! Erst recht nicht in einer Phase, in der du sogar Rumpelstilzchen verleugnest, nicht annehmen kannst.“.
Davor meine Frage, ob ich selber schuld bin, nicht genug aktiv mitarbeite, ich doch „einfach nur“ aufhören müsse, mich als Kind, das Kind in mir eine dreckige Hure zu schimpfen… Und so fühlte ich mich eben auch schlecht hinzufügen zu müssen, dass ich es „einfach“ nicht hinkriege. Und egal, wie viel Markus über Österreich, österreichische Ärzte, Zustände in Österreich schimpft, zu mir hat er noch nie etwas Negatives gesagt. Noch nie ein Vorwurf, etwas falsch zu machen. Geduld ohne Ende. Obwohl ich meine längst tausendmal in die Tonne getreten habe.

Die Krämpfe geben sich die Hand. Ich werde müde. Mich in Unterhose aufs Sofa zurückziehen und vielleicht schlafen. Andrea hat ja gestern Nachmittag angerufen und angekündigt, später zu kommen. Ich friere, während sich die brennende Neuropathie großzügig auf der ebenso großzügigen Fläche meines Körpers verteilt.

18:39
Mir sei bitte ein Satz verziehen: „So ein arrogantes Arschloch!“.
Jedes, aber auch wirklich jedes meiner Worte wurde mir im Mund umgedreht. Wurde mir zum Verhängnis gemacht. So bedacht darauf, seinen Monolog abzuspulen. Und letztendlich hat er nichts gemacht, außer den Katheter zu wechseln. Seinerseits hätte er alles Menschenmögliche getan, ich solle mich an die Urologie und Neurologie in Oberwart wenden. Als ich dann meinte, aber meine Neurologin in Graz zu haben, wurde mir selbst daraus ein Strick gedreht. Zudem immer wieder betont: „Wenn Sie es sowieso selber wissen?! Wenn Sie es sowieso besser wissen?!“. Nicht einmal einen Urintest hat er gemacht. Ich sei ja selber schuld, wenn ich jetzt auch noch betonen würde, Angst vor den Schmerzen später zu haben. Dann sei es ja kein Wunder, dass ich auch welche bekommen würde.

In all dem Geschwurbel… Um nun den Fehler wieder bei mir zu suchen… Wollte er mir da mitteilen, dass meine MS die Krämpfe verursacht? Das hätte er auch anders, klarer ausdrücken können! Ich kochte vor Wut, als mich die drei Jungs vom Roten Kreuz aus der Praxis schoben. D.h. auch, sollten die Beschwerden anhalten, werde ich wohl wieder irgendwohin pendeln müssen! Seit ich Zuhause bin, hat es mehrfach gekrampft, die Einlage hat einiges zu schlucken bekommen. Ich hab mich aufs Sofa gelegt und geschlafen. Kaum wach, kaum aufgesetzt, der nächste Krampf. Meine rechte Hand klimpert. Weil ich immer noch wütend bin und weil ich nichts geleistet habe. Kaum das Haus betreten, kaum die Rettung weg…

Du stinkende Drecksau!!
Du fettes Mastschwein!!

In dieser Stimmungslage ernsthaft versucht, ein Video zu machen. Ich erkannte mein Gesicht im Spiegel doch nicht einmal. Nun ist es besser, der zu gewinnende Eindruck versöhnlicher; Sebastian hat mir die Haare wieder ordentlich gemacht. Und die Hand klimpert und klimpert. Die Dunkelheit nicht aushalten. Mein Blutzucker hängt tief. Ich möchte mir etwas antun. Weil ich diese Untätigkeit in Kombination mit meiner Unruhe nicht ertrage. Von Langeweile kann gar nicht die Rede sein; ich würde viel lieber wieder auf dem Sofa sitzen und die Augen schließen. Aber mein Körper schmerzt! Jede Stelle, die irgendwo mehr Druck abbekommen haben könnte… Mein Hintern, mein Rücken, die Fersen.

Kopfschmerzen. Entweder ich schade mir oder schaffe es noch, irgendetwas Produktives zu leisten…

Die Ärmel vom neuen Oberteil wären lang, der Stoff schwarz. Beste Voraussetzungen; bis auf die eiskalten Hände. Bis auf den Umstand, mein blutiges Equipment noch nicht zurück an seinen angestammten Platz (in der Schultasche am Rollator) geräumt zu haben. Klimpern. Klimpern. Klimpern. Ich hätte mitunter Ideen. Würde gerne etwas ausprobieren. Musik machen. Aber ich bleibe sitzen, regungslos. Werde es nicht umsetzen. Völlig blockiert von den offenen Stellen, die ich angehäuft habe.

Meine Güte! Ich habe noch nicht einmal Fotos eingescannt fürs Video! Ich habe noch nicht einmal meinen Tisch leergeräumt! Noch nicht einmal Sachen in die kleine Rollkommode geräumt! Nichts und wieder nichts!!!

VERSAGER!!!

19:29
Sebastian kam runter, erwartete Besuch, hat mir Tee gemacht. Ich sehne mich nach Betäubung, will meinen Körper nicht mehr fühlen müssen!!