16. März 2018, Freitag „und die nächste Hälfte überschritten…“

8:30
61,1 Kilo um 6:45 Uhr. Es regnet, es ist grau, ich bin müde und der warme Tee trägt seinen Teil dazu bei. Dabei wollte ich nun unverzüglich ohne Umschweife an die Arbeit. Während der Sitzung 1 Stunde lang gemalt. Ohne Ergebnis. Nicht mehr als ein sich vorsichtiges Herantasten. Vor der Terrassentür eine schreiende Katze, in meinem Schädel jede Menge Watte. Bis zur Nacht hin kam es zu einer großzügigen Ansammlung von kleinen Panikzuständen. Ich soll sie personifizieren und anfangen, mich mit ihr zu unterhalten. Ich denke, dem voraus muss eine Zeichnung gehen. Um mir das alles besser vorstellen zu können.

Aber wenn ich nicht nun nahtlos den Pinsel in die Hand nehme, habe ich wieder verloren…

10:41
Die Speisepläne geschickt bekommen. Setzt mich erneut unter Druck, obwohl mir sonst niemand Druck macht. Der eigentliche Plan war es, mich nun aufs Sofa zu legen und zu schlafen. Erst die Speisepläne?

Ich weiß nicht, was ich denken soll. In meinem Schädel kreist ohnehin nur eine einzige Idee, und die hat mit Analgetika und Psychopharmaka zu tun. Um diesen Zustand auszuhalten.

15:21
Der Mäusebussard schraubt sich in die Lüfte, über ihm eine mit blassen Sonnenflecken marmorierte Wolkendecke. Ich bin todmüde. Dabei denselben Scheiß soeben ein zweites Mal diktieren; der Computer war erneut abgestürzt. Bis Sebastian nach Hause kam, waren es beinahe 2 Stunden, die ich auf dem Sofa geschlafen habe. Unverzüglich war ich eingepennt. Mich wie auf Droge fühlen. Keinerlei Kontrolle über den Körper, und so bedurfte es erneut mindestens 6 Minuten oder länger, ehe ich mich aufs Sofa montieren konnte. Gerade eben hinten im Badezimmer gleich mehrfach mit meinem nicht vorhandenen Gleichgewichtssinn in einen Clinch geraten; ich konnte schon die Beule an meinem Hinterkopf fühlen.

Träge, unbrauchbar und innerlich aufgerieben, unruhig. Die Situation schreit nach einer Aktion. Zwar sitze ich jetzt hier, die Wärmedecke im Rücken macht es wohlig angenehm, aber das grundsätzliche Debakel lässt sich damit nicht vertuschen. Wie damit umgehen?

Zurück an die Videoarbeit und dann weiter sehen. Brigitte kommt um 18:00 Uhr… Auch nicht mehr weithin.

Es wird 15:38 und mich ereilt eine Derealisation, als ich Sebastian hinten im Badezimmer mit sich selbst reden höre. Dann verschwindet er nach oben und ich kann sagen, was ich sagen muss. Er kam sehr spät nach Hause, zeigte auf den dunklen Weidenkorb und entschuldigte sich… Meine Mutter hatte ihn angeschrieben und gefragt, ob er Brathähnchen haben möchte. Ich kann nicht beschreiben, was da binnen Sekunden in und mit mir ablief. Dass ich nichts davon essen würde, war klar. Also blieb ich vermeintlich ruhig und fragte ihn: „Fragt sie denn nie nach, warum ich sie nicht sehen will?“. Er druckste herum, doch dann: „Ja, schon, natürlich. Aber dann sagt sie immer, wie sehr sie Sehnsucht nach dir hat, dass sie es nicht verstehen würde, aber dich nicht bedrängen wird.“,… […..]

Als Sebastian gerade hinter mir stand und redete und redete, schwieg ich. Ich starrte hinaus ins Nichts. Wieder der Gedanke, was könnte ich ihr schreiben… […..]

Die Sonne kommt raus, das Blau zerreißt die Wolken. Wäre ich jetzt allein. Wäre es jetzt 13:00 Uhr. Ich würde hinausfahren, eine Überdosis schlucken, meine Arme massakrieren und dann wegtreten. Vielleicht noch mit einem kleinen Zettel in der Hand: „Lieber Sebastian, es tut mir leid…“.

Fakt ist: Der physische Zustand ist nicht mehr zu ertragen. Dieses Zerren um mich, das ja angeblich nicht stattfindet, nicht mehr erdulden können. Diese scheinbar so heile Familie… Von Außen sowie von Innen… Und ich bin die Einzige, die da nicht reinpasst, nicht funktionieren will. […..] Wann fährt Sebastian endlich weg?… Den lächerlichen Auftakt, den halbherzigen Initiationsritus nach einer langen Zeit der „Abstinenz“ vorgestern… Mit einer neuen Klinge sollte sich das doch retten lassen, oder?

[…..]

Noch 2 Stunden bis zur Sitzung. Panik. Und am Abwägen, was ich schlucken könnte. In mir sind alle Lebensfäden bis zum Zerreißen angespannt und darunter mischen sich wie aus heiterem Himmel plötzlich auftauchende Kindheitserinnerungen. Die Rechte klimpert nervös. Ich hasse mich. Und ich kann mir noch so oft sagen, dass meine Symptome eine klare Sprache dafür sprechen, was passiert sein muss. Aber ich will lieber sterben, als die Theorie in meinem Kopf zu Bildmaterial werden zu lassen. Ganz zu schweigen davon diese an den Mann zu bringen. Was las ich da gestern? Eine Frau hätte sich beinahe umgebracht, hatte einen Atemstillstand von einem ganzen Fläschchen Psychopax und 15 Lorazepam. Verheißungsvoll… Aber am schlimmsten ist ja wohl, dass mir das Holen vom Essen meiner Mutter seitens Sebastians beinahe wie ein Verrat vorkommt. Dass der vermaledeite Korb jetzt da drüben steht und ich meine Mutter wieder sterben sehen muss, weil ich so böse und garstig bin. Und bald geht die Sonne unter… Zur Rasierklinge greifen und egal, ob er mich in flagranti erwischt?

Damit er sich wegen dir Psycho noch schlecht fühlt??!

Bei einem Selbstmordversuch nach dieser Situation wäre es nichts anderes. Ich sehe nach draußen und blicke in das Antlitz meines Endes. Lasst mich alle allein! Entbindet mich all der Verantwortung für euer Wohlbefinden!

Wieder schraubt sich der Bussard in die Lüfte.
Hätte eine schöne Aufnahme abgegeben. Aber spielt keine Rolle mehr. Was werde ich schlucken? Ich stehe in einer Sackgasse, die Visage so dicht in die Ecke gedrängt, ich kann nicht mehr denken, nur noch hoffen, alsbald zu ersticken…

2,6 mg Hydal. 5 mg Gewacalm. Zehn Hübe, 50 Tropfen Tramal. Über 30 Tropfen Psychopax. Mit einem Tuch und der Rasierklingendose vors Haus fahren. Mir fehlen die Worte, meiner Mutter zu erklären, was sie mit mir macht. […..] Und es mir zugleich so unendlich leid tut. Weiß ich doch selber nicht einmal, wer ich bin.

16:44
Ich war kurz draußen, bis Sebastian fuhr und mich alleine ließ. Kann er mein Verhalten, mein Schweigen nicht lesen? Es ist ein wunderschöner Abend, der Gesang der Vögel, der Duft in der frischen Luft… Wären die Räder nicht so dreckig, hätte ich ins Bad fahren können, den linken Unterarm mit heißem Wasser baden, damit die Haut etwas weicher, geschmeidiger wird. So wie ich da draußen gerade ein Teil meiner Natur war, gab es nur noch eine Antwort auf all meine Fragen. Der letzte Weg, der letzte Schritt, das Leben dauert doch ohnehin schon viel zu lange.

Aus der gelben Schachtel ein neues Kuvert ziehen. Es tut mir jetzt schon leid darum, weil ich ihr nicht gerecht werden kann und man sich zwangsläufig in jüngere Jahre zurücksehnt, als Selbsterhaltung und Kontrolle zumindest diese Sparte betreffend noch nicht von Bedeutung waren.

Einmal tief Luft holen und seufzen. Die Hände eiskalt. Noch 1 Stunde bis zur Therapie. Sebastian meinte zuvor abschließend, er würde sich Mühe geben, bis 20:00 Uhr zurück zu sein. Es ist mir egal. Je größer das Zeitfenster, desto besser. Und es tut mir leid zugleich. Warum tue ich so, fühle mich so schlecht, als wäre ich jemals Bestandteil einer heilen Familie gewesen? Das ist doch nicht mehr als eine Lüge!

Den entblößten Arm auf das Tuch, welches ich über den Schoß gebreitet habe, legen und mit Blick nach draußen abwarten. Meldet sich schon die Mischung im Kopf? Ich will mein Leben zurück… und die Klinge setzt zum ersten Schnitt an… Nicht tief genug. Vier Tropfen Blut. Der Schwerste davon macht sich auf den Weg. Ins Badezimmer fahren…

Nach wenigen Minuten mit krebsroten Händen wiederkehren. Ansetzen… Den Schmerz gewähren lassen… Fünf… Draußen ruft der Schwarzspecht… Die Haut ist verbraucht, Leder oder Gummi. Wo bleibt der „Ausrutscher“?… Die Aufnahmen im neuen Video dienen vermutlich auch nur dem einen Zweck, unter Beweis zu stellen, was für ein Blutbad sich mit oberflächlichen Kratzern anstellen lässt. Fine streift um mich herum wie eine Verbrecherin. Mit einer alten Klinge über die Haut schaben, die einzelnen Rinnsale zu einem großen zusammen kratzen. Das Licht auf der Landschaft wird abendlich und ich weiß nicht, ob 15 Schnitte schon genügen.

Nein. Es reicht nicht. Wie eben auch der Rausch nicht reicht. Im Hinterkopf immer noch den Orangenlikör in der Vorratskammer. So schade um die neue Rasierklinge. Warum kann ich mir vorstellen, mich umzubringen, aber schaffe es nicht, tiefer zu schneiden? Weil ich mit dem Suizid keine Schmerzen verbinde, weil ich in meinem Leben genug Schmerzen erdulden musste?

Auf dem Sofa schnarcht Martha. Mir bleibt noch eine Dreiviertelstunde. Die Pfütze auf dem alten Geschirrtuch wird größer und größer. Nichtsdestotrotz beginnt das Blut zu gerinnen. Ein letzter schöner Schnitt… Aber ich denke viel zu lange darüber nach. Watte kriecht in meinen Schädel. 16 und 17 mit mehr Nachdruck, näher an den Schmerz heran. Zwecklos. Der linke Unterarm hat seinen Dienst getan, verbraucht. Dann sind es 20 und keine einzige der Wunden klafft auch nur dezent auseinander. Ich müsste die breite Seite nehmen. 24. Als sei die Klinge stumpf, mehrmals in Gebrauch gewesen. Die Kante wechseln.

Bei 32 ist Schluss. Der Arm überreizt. Er sähe hässlich aus, wurde mir gesagt. Ich sehe das anders.

17:29
All das, was mich verraten könnte, verschwindet in seinen Verstecken. Fine ist ganz unruhig, ums Haus alles voll mit diversen Katern. Darunter sogar eine Angorakatze. Ich sollte Brigitte tunlichst nicht die rechte Hand geben. So ich es nicht mehr ins Badezimmer zum Händewaschen schaffe. Keine halbe Stunde mehr. Was werfe ich noch ein, was stellt mich ab, besänftigt die Teile in mir, die nach Suizid schreien?…

Weitere 40 Tropfen, also eine doppelte Dosis Tramal.

18:56
Sie hat mir die Hand ohnehin nicht gegeben, weil sie sich krank fühlt. Es dauerte nicht allzu lange, eigentlich direkt nach Beichten meiner pharmazeutischen Sünden in Tränen ausgebrochen und mich nicht mehr unter Kontrolle gebracht. Unterdes einen Apfel gegessen, weil mir von den letzten Tramaltropfen ganz schlecht geworden war. Ich fühle mich leer. Es würde wieder besser werden, hat sie gesagt. Beim Abschied meine Schulter gestreichelt. Ich bin ratlos und der Korb steht immer noch da, evoziert Bilder in mir…

Meine Mutter und ich beim Spazieren und sie wickelt mich in die eine Hälfte ihrer weiten Strickweste, Arm in Arm und sie erzählt Geschichten von früher, ich lausche gespannt und auch etwas bewegt.
Meine Mutter fährt mit mir und einer meiner Freundinnen mit dem Auto durch die Landschaft, in irgendwelche Waldstraßen hinein, oder an der überschwemmten Lafnitz entlang, durch riesengroße Pfützen, das Wasser spritzt, man wird im Auto hin und her geworfen und es ist ein Heidenspaß!
Ich sehe meine Mutter, wie sie abstreitet, ihr jemals von den drei Übergriffen erzählt zu haben.
Wie sie dementiert gesagt zu haben, diese Männer könne man nicht anzeigen.
Wie sie dann die Schuld in der zeitlichen Epoche gesucht hat, „dass es damals so war“ und abschließend der Vergleich, ich sei ja viel sensibler (hypersensibler) als sie, also selber schuld.
Wie sie anfing, einen Konkurrenzkampf aus meiner MS mit ihrer zu machen.
Wie sie nach Auszug ins neue Haus 1000 mal am Tag angerufen hat, bis ich Nervenzusammenbrüche davon bekommen habe.
Wie sie mir das Gefühl vermittelt hat, alles haben zu müssen, was ich habe. Ob im Guten oder Schlechten.
Und die ganzen Sterbefantasien, seit 33 Jahren, beinahe mein ganzes Dasein hindurch…

Um mir abschließend die Frage zu stellen: Tür und Tor stehen weit offen, die Arme breit geöffnet, also warum höre ich nicht auf damit, ein Psycho zu sein? Das Leben aller wäre doch gleich so viel einfacher! Gefühle sind doch keine Erinnerungen und erst recht keine Fakten… Was muss ich mich dermaßen wie ein Spalter, ein Monster, wie Rumpelstilzchen selbst aufführen?

Meine Antwort darauf? Ich bring mich um und alles ist gut.

Wir sehen uns nächste Woche…?“, Brigitte mit ernstem Blick und gerunzelter Stirn. „Mal sehen…“, lautet darauf meine regelrecht nach Aufmerksamkeit schreiende Antwort…

DU BIST SO SCHEISSE!!! KAPIER DAS ENDLICH UND ZIEHE KONSEQUENZEN DARAUS!!!

20:09
Sebastian ruft an; er kommt wohl erst in ner Stunde.
Zum Skalpell greifen… Unterdes Musik für’s Video runterladen…

Die Packung ist offen; keine Ahnung, wie lange schon.

Und was wird das jetzt?!! Willst du dich noch mehr der Lächerlichkeit preisgeben??!!

Wahrscheinlich. Mich fühlen wie ein ausgestopftes Exponat in einem Museum für makabere Absonderlichkeiten. Ob die Betäubung vom Hirn hinunter reicht bis in den Unterarm? In der Dunkelheit bellt ein Hund. Der Probeschnitt am Verbandsstrumpf hinterlässt keine Spuren. Meine Augen fallen ständig zu und das dulde ich erst recht nicht. Also setze ich erneut an… Wie viele waren es vorher? 34? Ich kann mir nichts merken, aber es waren scheinbar 32. Ich spüre meinen Rücken nicht, ebenso ist der Ischias verstummt und die Verspannungen im Nacken vermeintlich nicht mehr existent.

Dieses Werkzeug liegt besser in der Hand, zwecks langem Griff. Dennoch im Vergleich zur Rasierklinge „schneidet es signifikant schlechter ab“. Da klafft nichts. Obwohl ich langsam und mit Druck zu Werke gehe.

Das wird wieder ein Tagebucheintrag, den die Welt nicht braucht.

Nach drei Stück landet das Werkzeug wieder in seiner Plastikfolie. Darauf warten, aus Versehen alles mit meinem Blut zu besudeln. Auf der Suche nach einer offenen Folie von der anderen Sorte. Was wäre, käme Sebastian herein…? Die Kerze im Stövchen erlischt; der Tee steht ja auch nur bereits 3 Stunden darauf und noch nicht einmal zur Hälfte getrunken. Nächster und vermutlich letzte Anlauf… Mir meine Schlechtigkeit unter die Haut meißeln!…

Meine Güte! Das Ding ist noch stumpfer! Zehn. So ich überhaupt noch fähig bin korrekt mitzuzählen.
Zu schwach, den Verband überzustreifen. Sebastian wird wohl wieder sagen: „Ich hätte dir gar nichts erzählen sollen! Das wäre besser gewesen! Warum fragst du mich dann auch immer, wenn es dir danach so schlecht geht?!“. Und wahrscheinlich wird er sich auch noch entschuldigen.

Der geborene Masochist…

Also es tut mir leid! Mit tut alles leid! Ein großes Entschuldigung die ganze Welt! In China ist der Reissack umgefallen? Sorry, das war wohl auch ich…

11. Januar 2018, Donnerstag „Fallen lassen…“

9:30
59,4 Kilo um 6:45 Uhr. Blut. Alles voll mit Blut. Aber mir missfällt die Farbtiefe, nicht authentisch genug, streckenweise sogar übertrieben. Die 2 mg Temesta noch nicht einmal ausgeschwitzt -vermag mich immer noch nicht zu bewegen, nicht zu stehen, die Beine steif- und dennoch bereits das nächste Übel im Anmarsch. Neben meiner Wasserflasche das kleine braune Gläschen mit Psychopax. Daniela wird bald kommen. Mein Schädel fühlt sich ehrlich gesagt noch ziemlich bedient an. Den rechten Ärmel hochgekrempelt, aber ganz im Gegensatz zu Montag die Wunden dieses Mal unter einem kurzen Verband versteckt. Montags hatte ich ernsthaft nicht daran gedacht, hatte es vergessen. Ich weiß auch nicht mehr wie es gestern Nacht schlussendlich zu dieser Diskussion kam. Irgendwelche Witze über meine Arme wurden gemacht. Ein Schlagabtausch, wahrlich tief und makaber, aber dennoch witzig. Aber am Schluss musste ich einhaken: „Du glaubst aber NICHT wirklich, dass ich das aus Spaß mache, oder?“… „Natürlich nicht!“, er ein wenig erbost: „Wie kommst du denn da drauf?“.

Ich höre es hinten rumpeln, rumoren. Hastig einen Schluck Wasser in den Mund, obendrauf erneut eine undefinierbare Menge Benzos. Mal tropft es, dann tropft es vermeintlich nicht, und ganz plötzlich schießt es regelrecht aus dem Ventil, das die Tropfmenge regulieren sollte. Das Zeug brennt auf der Zunge. Will ich mir ernsthaft selbst verkaufen, nun ginge es mir besser? Oder dass es mir gleich besser gehen würde? TÜR AUF! DAS SCHAUSPIEL BEGINNT! FUNKTIONIEREN!!!

Ohne Frage, es ist auch nett und tut auch gut, sich zu unterhalten. Aber freiwillig scheine ich meine einsame Komfortzone nicht verlassen zu wollen. Dieses Niemandsland, in dem ich machen kann, was ich will, ohne irgendjemandem Rechenschaft schuldig zu sein…

Egoist! Verschrobener Eigenbrötler!!

11:58
Was spüre ich von meinem Rausch? Nichts und wieder nichts? Wieder einmal Beipackzettel wälzen. Da müsste doch irgendetwas passieren. Klar, ich kann mich noch weniger bewegen. Aber das ist mir gerade scheißegal.

15:12
Die Stille, die mich umschließt, wird zu einer warmen Decke, die mich ganz fest einwickelt. Wieder minutenlang mich über Überdosierungen informiert. Ich habe so einen Knall. Nimmt Sebastian es nicht ernst, schiebt es bewusst zur Seite, ist unfähig, sich damit auseinanderzusetzen oder bemerkt nicht einmal, in was für einer Häufung ich jeden Tag immer wieder im Ernst oder verpackt in geschmacklose Witze von Selbstmord spreche?

Der Himmel ist grau. Kurz, aber wirklich nur einen Wimpernschlag lang, war die Sonne zu sehen; aber bis ich mit dem Rollstuhl draußen war, hatte sie sich längst wieder von mir abgewandt. Ich kann es verstehen. Ich bin schlecht. Vielleicht hätte der Titel für den heutigen Tagebucheintrag auch einfach „Bilanz vorm Abgrund“ heißen müssen. Ist es das Wetter, die fehlende Sonne, eine chemische Schräglage in Gehirn und Körper? Die Anämie ist also schlimmer als noch im letzten Befund vom Krankenhaus. Und als müsse ich meinen Teil dazu beitragen…

Die Meinung von mir ist einhellig, auch werde ich in einer Woche wieder Diskussionen darüber führen müssen ob ich nicht längst abhängig bin, denn genau darum geht es ja bei besagter Meinung. Also warum nicht gleich diesen entsprechen… Ich weiß nicht mehr, was ich gestern geschluckt habe. Ich weiß nicht mehr, was ich vorgestern geschluckt habe. Könnte höchstens versuchen, eine notdürftige Bilanz für den heutigen Tag aufzustellen: morgens eine volle Dosis Tramal, vormittags eine undefinierbare Menge Psychopax, Benzos, mit keinerlei signifikanter Wirkung, mittags wieder eine volle Dosis von den Opioiden, 1,3 mg Morphium gegen die nicht enden wollenden Krämpfe, und weil sie mich so nett angelächelt haben, noch zwei rosarote Filmtabletten -Gewacalm zu je 5 mg. Ich hielt es auf dem Sofa nicht aus, ich durfte nicht sitzen bleiben, wie so ein faules, wertloses Miststück und ich weiß nicht mehr, wie oft ich mich gestern, wie oft ich mich vorgestern aufgeschnitten habe. Aber gerade eben, ohne mich in irgendeiner Form warm anzuziehen mit dem Rollstuhl hinaus gefahren, ein Frotteehandtuch, die Rasierklingendose und perfiderweise die Kamera. Mit mir selbst ins Gericht gehen, warum ich so etwas filme und dann schlimmstenfalls auch noch online stellen werde. Wen will ich erschrecken, vielleicht eher abstoßen? Es war kalt. 30 Schnitte mit der eigentlich doch noch jungfräulichen Rasierklinge. Und es blutete wunderbar, lief den Arm hinab, tropfte auf das allmählich verblassende Laub neben dem nagelneuen Asphalt. Mir war von vornherein klar, dass das nicht reichen würde. Ich holte ein weiteres Mal aus, insgesamt noch zehnmal. Mehr Nachdruck, fester, überzeugter und erst recht genährt von noch mehr Hass auf mich selbst. In den drei Tagen hinter mir den Eindruck gewinnen dürfen, dass eigentlich nur ich die Wurzel allen Übels sein kann und wäre ich weg, käme das einem Segen gleich. Wie viele unendliche Seiten habe ich diktiert, ohne jemals zu einem Konsens zu kommen. Wie viele Fragen mir selbst gestellt, mich damit gequält. An manchen Tagen erscheint alles so eindeutig, es ergibt alles Sinn, wie die Faust aufs Auge. Aber den größten Teil der Zeit dazwischen werde ich von Zweifeln zerfressen und so kam ich eben schon dienstags zu dem Schluss: es gibt keinen Täter, keine Mittäter, erst recht nicht ich das Opfer. Da ist nie und nimmer etwas passiert, ich inszeniere mich selbst, produziere mich und das Rechenergebnis ergibt schlussendlich, dass ich kein Trauma habe… Ich muss definitiv einer Psychose anheimgefallen sein, bilde mir alles nur ein. Ich hasse mich. Und ich denke, tablettentechnisch geht da noch mehr. In einer Woche Reha. Ich werde die Rasierklingen mitnehmen, und auf die Frage, ob ich etwas mit hätte, mich mit einer Pauschalaussage rausreden: „Hier im Haus kann man überall etwas finden, womit man sich selbst verletzen könnte.“. Also nicht direkt die Wahrheit, zugleich auch nicht gelogen. Und erst recht packe ich meine Tabletten mit ein. Ich muss gewappnet sein, wer weiß, was kommt und würde ich bei der Reha eine Überdosis schlucken, kommt wenigstens nicht mein Bruder, geschweige denn seine ganze Familie, die Kinder inklusive im Schlepptau zum Handkuss. Aber am entscheidendsten wohl, dass Sebastian mich nicht finden muss. Die Sehnsucht, die Todessehnsucht drückt und drückt und drückt, bis ich keine Luft mehr kriege.

16:13
Wieder ist 1 Stunde um. Insgesamt drei Videoaufnahmen gemacht für meinen neuen Film. Den Schwarztee zu meiner Rechten kaum noch angerührt. Was mache ich jetzt? Ich fühle mich durchaus betäubt. Nur müde darf ich nicht werden. Auch Sebastian hatte mir recht gegeben, dass das mit den Blutspritzern um den Eichelhäher herum vielleicht doch zu viel des Guten sein könnte. Muss wieder zurückrudern, kaschieren, weiß übermalen.

Das Licht schwindet, die Augenlider schwerer und ganz plötzlich, als hätte ich es nicht anders, hätte die Betäubung nicht verdient, setzt Panik ein. Ich sehe doppelt.

Ganz kurz schließe ich meine Augen und sehe meine Mutter, in einem weißen Kleid auf einem Flur stehen, sie hat Presswehen. O. k.… Wo kommt das jetzt her? Eine Lampe einschalten ein schönes Massaker! Mir eine weitere volle Dosis Tramal reinpfeifen…

Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne einen einzigen Gedanken an Morgen zu verschwenden, die Pumpe so lange betätigen, bis das Fläschchen leer ist!! Das waren jetzt MINDESTENS über 20 Hübe!! Ich kann ja auch immer noch Alkohol obendrauf werfen. Es tut mir leid, dass ich das hier schreibe. Es ist nicht fair von mir… Aber mich umzubringen, ist dann ja auch nicht so einfach, wie vor über zweieinhalb Jahren gesehen. Was wünsche ich mir? Bewusstlosigkeit, Kontrollabgabe, „ernst genommen zu werden“, weil ich mir selbst ja nicht glauben DARF!!! Die Augen verdrehen sich, die Blickachsen verknoten sich. Musik an, Selbstmordsound, vielleicht nun endlich meinen inneren Scharfrichter so weit abgestellt, um zumindest ein oder zwei Tränen für mich selbst vergießen zu dürfen.

Jetzt online stellen; ich kann keine Garantie mehr abgeben… Ob ich noch lange wach sein werde…

2009-05-07-kommsuessertod

25. Dezember 2017, Montag

10:49
Eine Dreiviertelstunde vergeht, ehe ich hier sitze und, wenn ich denn möchte, die Arbeit aufnehmen könnte. So viel unnützes Zeug hat sich auf dem Tisch angesammelt, versuchen, ansatzweise Ordnung zu schaffen. Und je länger es nun dauert, bis ich zum Pinsel greife, desto wahrscheinlicher ist es, wieder nur auf dem Sofa zu landen und den ganzen Tag lethargisch auf den Tod zu warten. Irgendwann, das ist gewiss, wird er kommen. 37,1 °C. In drei Tagen mein Gewicht zerschossen. Aus 59,0 wurden 59,5 und schlussendlich heute 59,8. Wegen einer Suppe! Was hat die Entwässerungstablette gemacht? Bevor ich mir von Sebastian aufhelfen ließ, ein weiteres Furosemid geschluckt; soll mal nachsehen, wo sein Vorgänger abgeblieben ist. Dazu meine Medikamentendose aufgefüllt mit diversen Benzos. Es ist ein wunderschöner Tag, aber ich fühle mich nach nicht mehr als Agonie, so würde dieser Tag vorüberziehen und mich mit schlechtem Gewissen im Stich lassen. Denn „wie kann man so einen prachtvollen Tag nur vergeuden“?! Vom Tramal zur Morgendosis mindestens 15 Tropfen. Kann ich behaupten, gestern einen positiven Effekt von Psychopax und Co. wahrgenommen zu haben? Man lernt nie aus, man lernt nichts draus, also immer rein mit der nächsten Giftmischung. Temesta oder Gewacalm? Beides? Ach, ich bin heute experimentierfreudig! Die Hand klimpert bereits voller Vorfreude. Und direkt nach dem Diuretikum einen Schluck Abführmittel genossen, Glukose pur. Wäre ich ein Koch und der Körper das Gericht, vermutlich würde es am Herd anbrennen, sauer werden, kippen und Scheiße schmecken. Die Rezeptur einem Wahnsinn entsprungen. Der Kopf sinkt müde auf die Brust, mit Blick in die offene Blechdose. Irgendwie bin ich bereits gedämpft, aber ich will arbeiten können, arbeiten dürfen… Die Hand klimpert hektischer, überschlägt sich, die Finger verknoten sich. Die Dose schließen, in Griffweite neben die Leinwand legen, einen großen Schluck aus der eiskalten Mineralwasserflasche und dann ans Werk!!

11:15
Noch nichts gemacht, noch nichts geschafft, außer schon wieder bei Amazon nach schwarzen Stulpen zu suchen. Die Kopfschmerzen werden immer stärker, die Sonne wird alsbald zur Terrassentür hereinknallen. Die Hand klimpert, in mir alles in Aufruhr! Wer oder was sabotiert meine Hand, anstatt an der Seitenlehne klimpernd kleben zu bleiben und endlich den weißen Buntstift zu ergreifen, um auf den schwarzen Schwanzfedern eine Struktur, Richtlinien entstehen zu lassen?
17:25
Eine Sitzung in die Tonne getreten. Markus redete und ich verstand ihn nicht. Ab und an am Frieren, benötigte den Heizstrahler, und verstand ihn nun auch akustisch nicht mehr. Ich konnte nicht denken. Zeitweilig fand ich mich bereits in einem Übergang von normalen Gedanken zu Tagträumen. Ich sollte, müsste mich nun dringend hinlegen. Mich mehrfach dafür entschuldigt, heute in so einer Verfassung zu sein. Was habe ich alles geschluckt? Insgesamt drei Temesta und ein Gewacalm, dazu mehr oder minder normale Dosen Opioid? Ich fühle mich schlecht. Wie ein Versager. Habe die Therapie nicht verdient. Sollte, müsste mich bestrafen! Wie lange noch alleine? Aufschlitzen, kaschieren, einschlafen?

Die Unruhe zerstört mich. Eine der alten Klingen fällt auf den Boden, lässt sich nicht mehr hochheben. Minuten vergehen, ein verzweifelter Kampf. Gestern mit dem alten Rasierer ja den größten Teil vom Schorf entfernt. Muss sich dennoch eingangs darüber nachdenken, welchen Erfolg ich mir hiervon erwarte. Erhoffen darf. Völlig ratlos was und viel davon ich einwerfen müsste, um Ruhe zu bekommen. Markus und seine Fragen waren gerade eben so unendlich weit weg von mir, wie eine andere Welt, aber was ist dann der Inbegriff MEINER Welt? Alles scheint ausgelöscht. Nichts als diese verdammten MS-Symptome, Kopfschmerzen, die Agonie. Als gäbe es den riesengroßen Krieg darum herum gar nicht. Ob ich wieder scheitere?

Während diesem seltsamen Gespräch gerade eben und dem Sonnenuntergang vor mir wollte ich nur noch sterben, die ganze Tablettendose schlucken. Kein Teil in mir, der propagiert, dass mir etwas passiert sein muss. Kein Teil, der dies abstreitet. Gar keine Teile mehr, alles wie ausgestorben. Bei dem Gedanken, jetzt zu schlafen, wird mir speiübel. Ich kann und ich will nicht analysieren, warum dem so ist.

Vermag die Klinge nicht zu halten. Sieben und der übrig gebliebene Schorf sabotiert ordentlich. Selbst dafür zu schwach? Sebastian, bleib bitte nach oben…

30 Schnitte. Oben rumort es. Frohe Weihnachten. Beide Hände gelähmt, werde nicht mit dem Stützverband fertig. Wonach mir jetzt gerade ist? Eventuell ein kleines Resümee: Am liebsten würde ich fressen und wieder kotzen. Aber dafür bin ich zu schwach. Am liebsten würde ich mich ausbluten lassen, aber auch dafür bin ich zu schwach. Ich fühle mich im Stich gelassen in meiner Pattsituation, die niemanden zu interessieren scheint. Weder den HNO-Arzt, noch meinen Hausarzt. Alles egal. Ob dieser Dauerzustand eventuell einen Schub auslösen könnte, völlig egal. Da ist nur Sebastian, er will leben, dass ich lebe und wir beide zusammen Spaß am Leben haben. Aber… Es tut mir so leid… Mich in Tränen auflösen… ICH KANN NICHT MEHR!! ICH WEISS NICHT MEHR, WORAN ICH MICH FESTHALTEN SOLL!! JETZT EINE ÜBERDOSIS!…
Um wieder in der Notaufnahme und anschließend Psychiatrie zu landen.

Leider sickert das Blut nicht ordentlich durch den weißen Stoff. Mülltermine eintragen, die neuen Hosen umnähen, Vorbereitungen für die Reha, Zettel ausfüllen… Alles Optionen, alles Sachen, die erledigt werden müssten. Ich kann nicht! STIRB ENDLICH!! Panik…

21:43
Ich hielt es nicht aus. Ich war mit mir noch längst nicht fertig. Er hatte angekündigt,…

22:36
Er hatte angekündigt, alsbald runter zu kommen und wir würden noch ein paar Kekse essen. Um acht war er da und ich konnte nicht aufhören einen Keks nach dem anderen in meinen verfressenen Schlund zu schieben. Doch eben kurz bevor er durch die Tür marschierte, hatte ich erneut zur Rasierklinge gegriffen, die nun nicht mehr als „neu“ bezeichnet werden darf. Kreuz und quer, hoch und runter, immer „tiefer“, dem Schmerz auf der Spur…

Dabei meine weiße, neue Hose und eines der großen weißen Kissen erwischt… Noch einmal 30 Schnitte. Es macht keinen Sinn mehr, ich nicke während dem Diktieren ein. Den Tag aufgeben, ausreichend intus, um schlafen zu können…

13. Dezember 2017, Mittwoch

8:38
Die Welt zu Gast im „Chez Paridae“! Mir fällt das Grissini aus dem Mund, als ohne Vorwarnung vermutlich dieselbe Elster, die sich seit Tagen hier herumtreibt, vielleicht 3 m von mir entfernt kurz auf der Terrasse landet. So gefällt mir das. Die Heckenbraunelle wohnt längst dort, zu allem Überfluss taucht dann auch seit langem wieder die erste Schwanzmeise auf, während die typischen Gimpelrufe zu hören sind, als ich dann noch das Buffet neu bestücke. Im Hintergrund, auf der Nachbarswiese stehen Rehe und grasen…

Wie idyllisch! Jenseits meines Gewichts… 59,6 Kilo um 6:45 Uhr. Heute stinke ich sogar wie ein halber Zoo. Setzt mich unter Stress, wie filetiert mein Vormittag schon wieder ist, der Vormittag, der eigentlich ganz allein mir und der Leinwand gehören sollte! Um 10:00 Uhr kommt Ramida mit ihrem Mann, vor allem er will sich das alte Laufband, das ich nicht mehr gebrauchen kann, ansehen. Um 11 geht es schon weiter mit der Sitzung. Ich Vollidiot war der Meinung, wir hätten heute Termin beim Friseur. Aber das alles findet doch erst am Freitag statt, wenn auch das Röntgen von meinem Fuß gemacht werden kann. Bin orientierungslos, weiß soeben nicht, wie der nächste Schritt auszusehen hat… Ach ja! Ich wollte etwas nachmessen… Das auf der Leinwand scheint korrekt zu sein.

Schlechte Nächte bedeuten erst recht, morgens wie ein Stinktier zu riechen. Meine „Stressachsel“ (die rechte) hatte wieder ordentlich zu tun. Erst recht mit dem Traum, den ich wiedereinmal nicht posten kann. Ganz abgesehen davon, zwischen 2:00 und 3:00 Uhr wach gelegen zu haben, die ganze linke Seite schmerzte, als würde ich auf dem harten Fußboden schlafen. Punktuell schmerzt es zumindest, an den Stellen, die den meisten Druck abbekommen. Und diese Druckpunkte lösten wiederum im linken Bein Krämpfe aus. Wie vermutlich schon die Nächte zuvor. Doch auf dem Rücken kann ich auch nicht liegen und dann wieder umdrehen… UNMÖGLICH! Sebastian hatte sich ganz dicht an mich gedrängt, was bedingt durch sein Gewicht zu einer Mulde inmitten der Matratze führte und ich versank in dieser. Als ob ich auf einer geraden Unterlage nicht schon genug zu tun hätte, die Seite zu wechseln. Mich „bergauf“ umdrehen… Er wachte durch mein Ächzen auf und half mir. Das linke Bein, bzw. des Knie abgedeckt, in die kalte Luft des offenen Fensters gehalten, ließen die Krämpfe nach, ich schlief wieder ein und bekam einen formschönen Albtraum…

Sebastian und ich, wir beide in Rollstühlen, standen im Dorfzentrum zwischen Volksschule und Sportplatz. Auf der Wiese vor der Schule spielten Schulkollegen von mir ein seltsames Outdoor-Computerspiel. Ich bekam auch einen Joystick und durfte mitmachen. Nun hatte ich mich aber bereits (zwangsläufig) dem Gasthaus zu weit genähert. Ich wollte nachsehen, was meine Mutter jetzt so treibt, jetzt, da es im Traum eine neue Kontaktsperre gab. Einerseits vor, andererseits hinter dem Gasthaus oder gleich vor der Volksschule befand sich ein kleines Fahrgeschäft, ein überdimensionales Glücksrad, wenn man so möchte, auf dem sie saß und seit geraumer Zeit auf dem „Dorfkanal“ moderierte. Einerseits hatte sie eine Mini-Playback-Show, die Kinder aus ganz Österreich durften bei ihr singen und die Sendung hatte wohl gute Einschaltquoten. Zeitgleich machte sie aber auch Wetterberichte und Christof Spörk (er hatte ja 2013 den Satz geprägt, ob Markus ein Sektenführer sei) besorgte den Rest, koordinierte alles, war für die Nachrichten zuständig. Meine Mutter benutzte für Absperrungen auf diesem Riesenrad große Fässer mit Salz, zog damit irgendwelche Linien nach, innerhalb derer die Kinder sich hinzusetzen hatten. Dasselbe Präparat, das wir für das Spiel benutzt haben (das war eine Mischung aus dem Nasenspülsalz, das ich bestellt habe, und den Folgen „Supernatural“, die wir uns jeden Abend zu Gemüte führen, und in denen Steinsalz immer zum Bannen von Dämonen eingesetzt und verstreut wird). Scheinbar hatten wir einen größeren Verschleiß als sie. Ich versuchte ihr das zu erklären, aber sie sprach in einem fort nur von ihrer Flasche, die noch voll sei, wie sparsam sie sei, wie man das richtig mache. Darauf monierte ich, dass sie immer nur von sich selbst reden würde, mir nicht richtig zuhört. Und selbst danach sprach sie nur von sich selbst. Sie gab Christof, der unten in der Schaltzentrale vor der Volksschule sein Studio hatte, ein Signal, dass er übernehmen solle. Darauf kletterte sie von dem Gerüst; ich war schon längst abgestiegen und mir drehte sich alles. Die Apparatur stand nun auf dem Hügel vor dem Fußgängerüberweg, dort, wo die große Werbetafel steht. Sie kletterte über den Gartenzaun direkt darüber und eigentlich wollte ich sie ein Stück begleiten…
[…….]
Sebastian fragte mich beim Abendessen: „Möchtest du vielleicht den Film mit Tom Cruise zu Ende schauen?“. Darauf ich nur: „Ja, gerne! Die ganzen Zeitsprünge, Flashbacks evozieren super Träume hinterher!“. Auch darf man nicht vergessen, dass die Dokumentation gestern ebenfalls ihren Eindruck hinterlassen hat.

Du würdest schon sehen! Wenn man bei dir ein MRT machte, würde sich da gar nichts zeigen, wenn du dir einbildest, mich zu hören!!
Du hörst mich nämlich nicht!

15:27
Kaum sitze ich am Tisch, mimt meine Rechte den sterbenden Schwan. Und die Krämpfe… Vor dem Mittagessen sagte ich noch: „Juhu! Es gibt Schuldgefühle mit Sauce! Ironie aus…“. Für Sebastian Fleisch und für mich Topfenstrudel mit Vanillesauce. Gleich als er zur Tür herein kam, ertrug ich den Geruch von seinem Essen nicht! Und von meiner Portion auch nur die Hälfte gegessen… Nein, eher gefressen! Viel zu süß! Das aus meinem Munde, von einer, die grundsätzlich überall noch zusätzlich Süßstoff reinmischen muss! Sebastian schlief ein und mein rechtes Bein begann zu krampfen. Ich schlurfte ins Bad, entleerte den Beutel, kam zurück, schluckte 1,3 mg Hydal. Die Krämpfe verstummten. Lediglich um im linken Bein noch heftiger in Erscheinung zu treten. Sebastian wollte los, kam aber wieder, um mir erst den Brief der Reha-Anstalt zu geben (die Weihnachtsschokolade ist da) und sodann einen Totenzettel auf den Schoß zu legen. „Hast du den von meiner Mutter?“. Nein, sagte er, der sei im Postkasten gewesen. Ich warte darauf… Ich habe darauf gewartet, dass der Schmerz kommt. Mich zu diesem Zeitpunkt stattdessen an einem Tippfehler auf dem Zettel aufgehängt. Mitzi ist tot. Es tut mir so leid. Und der Sonnenuntergang erledigt spätestens jetzt den Rest…

Sie war eine Lichtgestalt unseres Grabens. Die Frau war die Wucht. Gleich nach Einzug ins Haus haben wir sie kennen und lieben gelernt. Meine Mutter kannte sie natürlich… Aber ich war es, die häufig bei ihr in der Küche saß. Bis zu meiner Fehlgeburt, dann brach ich alle Kontakte ab, habe alles und jeden absaufen lassen. Ebenso die arme, einsame Frau. Außerdem haben sich dann die neuen Nachbarn um sie gekümmert, zusätzlich, neben Barbara und dem ebenfalls verstorbenen Rudi. Ab und an bekam ich zu hören, dass sie nach mir fragen würde. Aber mir hatte die letzte Konfrontation mit ihr gereicht, gerade zu diesem Zeitpunkt, diesem Tiefpunkt meiner Psyche. Ich war ihr damals über den Weg gelaufen, obwohl ich bereits da begonnen hatte, die Straße an ihrem Haus vorbei nicht mehr zu frequentieren. Spätestens nach diesem Zusammentreffen nie wieder, solange sie noch in ihrem kleinen Bauernhaus gewohnt hat. Sie hat mich gefragt, wie es hier üblich ist, wenn man jemanden schon lange nicht mehr gesehen hat: „Ach, lebst du auch noch? Ich dachte schon, du bist gestorben!“. Und das leider mit einem sehr zynischen Unterton. Und ich in meiner Depression sagte nur: „Ich wünschte, dem wäre so!“. Und dann kein Kontakt mehr. Die neuen Nachbarn kauften ihr Grund ab, erneuerten den Erdkeller, kauften auch Wiese und Haus, als sie ins Altenheim kam, um diesen Sommer das kleine, feine Häuschen völlig unemotional abreißen zu lassen. Ich hatte mich häufiger mit den jüngeren Nachbarn, die noch mit ihr zu tun hatten, über sie unterhalten. Verdammt, es waren Jahre!! Und gerade dieses Jahr, da ich im Sommer die letzten schönen Aufnahmen von ihrem Haus mit ihren Katzen gemacht habe… Ich wollte mich doch endlich überwinden. Mit der Kamera, dem Rollstuhl ins Altersheim nach Jennersdorf zu fahren, ihr die Bilder zu zeigen… Aber ich tat es nicht! Vor einigen Wochen mit Anni von nebenan gesprochen. Sie erzählte, Maria sei mittlerweile sehr dement, sie würde es auch nicht schaffen, bei ihr vorbeizuschauen, da sie das in ihrem Job als Pflegekraft doch ohnehin tagtäglich mitansehen muss, dieses Elend. Jetzt ist es zu spät. Bereits am 1. Dezember sei sie verstorben, mit 92 Jahren. Wir erkannten sie auf dem Foto kaum wieder. Sie hatte so einen feinen Humor, voller Ironie. Es tut mir wirklich leid, unendlich.

Vom Flennen nimmt der Druck im Schädel erst recht zu. Und das linke Bein krampft und krampft, immer penetranter, schmerzhafter. Bevor ich mich hinsetzen konnte, fiel mir das gerade erst angesteckte Räucherstäbchen aus der Hand, auf den Boden. Ich bückte mich und mein Schlüsselband mit dem Knopf vom Roten Kreuz verhedderte sich am Rollstuhl und ich wäre beinahe umgefallen. Das wäre wenigstens eine kleine Strafe gewesen. Ich sehe das Abendrot und werde erneut darin bestärkt, dass es besser ist, sich auf niemanden einzulassen. Dann kann er oder sie nicht sterben, um dann mit dem Schmerz zurückzubleiben.
Ich denke ja immer noch, dass das mein Grundproblem ist hinter all den Schwierigkeiten, Kontakte einzugehen und erst recht zu halten. Was das betrifft bin ich ebenfalls ein Versager. So wird es bereits 4, die Zeit läuft davon. Zwangsläufig ist meine Nase noch mehr verstopft. Und die Krämpfe hören nicht auf…

17:17
Es krampft. Bin ich selber schuld? Ist es nicht IMMER so?! Sobald ich irgendemandem gegenüber erwähne, meine Schmerzen im Griff zu haben, bekomme ich eine Abfuhr? Als würde sich mein Körper gegen mich aufwiegeln? Als würde Rumpelstilzchen Hebel und Knöpfe betätigen, um mich leiden zu lassen?! Sebastian kam zurück von seiner Tour in Jennersdorf. Beim Hausarzt stand er wohl eine Dreiviertelstunde in der Schlange. Ihn gebeten, mir meine Tablettendose zu reichen. Weitere 1,3 mg Morphium. Aber es krampft und krampft und krampft. Zudem war all das, was ich heute Vormittag gemalt habe, völliger Unsinn! Alles falsch platziert! Jetzt bin ich bei 1154 Stunden und 30 Minuten. Ergeben insgesamt 2 Stunden, die ich eigentlich bereits vormittags hätte leisten müssen. Ich bin wütend auf mich. Wütend und verzweifelt, dann denke ich an die Bürosachen, die Speisepläne, die ich noch eintippen soll, und die Panik packt mich. Vielleicht hätte sich der Schmerz gegessen, würde ich nur endlich aufstehen und im Flur zweimal auf und ab gehen. Aber ich tue es nicht! Ich nehme es eher in Kauf, noch mehr Tabletten in mich rein zu stopfen; einen besseren Grund für einen Rausch kann ich mir selbst wohl kaum liefern!

18:35
Einen großen Schluck aus der Wasserflasche. Die Hände sind eiskalt. Der Bürokram erledigt. Meine Intention? Ins Badezimmer fahren, meine Arme heiß baden und dann, während er sicher für geraume Zeit in der Badewanne liegt, mit mir selbst abrechnen. Die Krämpfe haben aufgehört. Ramidas Mann wollte von Morphium und Opiaten nichts hören. Niemals würde er so etwas nehmen und das Tramal hätte er nicht vertragen. Ich bin gerade wunderschön abgedeckt. Ist es ein Trugschluss, belüge ich mich selbst wenn ich behaupte, NOCH NICHT abhängig zu sein? Er wollte es mir nämlich nicht ganz glauben.

Ins Badezimmer, bevor er runterkommt… Dabei hat mir Sebastian gestern nachträglich ein Geschenk gemacht, bzw. wurde es erst gestern geliefert und sollte ein Nikolauspräsent sein…

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19:24
Es klingt zumindest so, als sei er gerade abgetaucht. In meiner Schultasche herumwühlen. Warum sollte ich mich schlecht fühlen, ich tue doch nur mir selbst weh! Abgesehen von dem Schaden, den ich mit meinen Worten im Internet hinterlasse.

Erst die Dose nicht finden. Darf ich etwas zum Abendessen essen oder nicht? Viele Fragen, keine Antworten und morgen definitiv noch schwerer als heute. Versuchen, das neue Stück zur Hälfte in seinem kleinen Kuvert zu belassen, um die anderen Kanten und Seiten zu schonen. Eigentlich bin ich bereits gut abgedeckt. Die Haut auf meinem linken Unterarm ähnelt jener eines Brandopfers. Total verschrumpelt. Mein Rücken schmerzt; lange kann ich so nicht sitzen. Beim ersten Schnitt merken, dass es mir an Wut und Verzweiflung mangelt. Die Überzeugung fehlt ebenfalls. Was hat diese Aktion als Ziel? Zumindest kurzfristig ins Kissen zu sinken, ehe er mir Gesellschaft leistet und zumindest für einen Moment glauben, Luft holen zu können? 37 Jahre und kein Stück weiter. Das hätte ich mir auch nicht gedacht… Was habe ich gedacht? Dass ich mich mit 18 umbringe. Nichts darüber hinaus.
Es mangelt ein wenig an Kontrolle, das Stück Aluminium nicht direkt zwischen den Fingern zu halten. Das Blut läuft kalt den Arm hinab. Der Hausarzt kommt am Montag irgendwann zwischen 12 und 14:00 Uhr. Zur Blutabnahme. Das wird ihn schon nicht umhauen. Zehn Schnitte reichen mir noch nicht. Scheitern, Scheitern, Scheitern… 20 Stück und nichts davon gibt Halt. Was für eine feige Sau!

Eine fette, feige Sau!!

Wie recht er doch hat! Dabei hatte ich während dem Gespräch mit Ramidas Mann von mir selbst ein Bild im Kopf, als würde ich 70 Kilo wiegen und hätte gerade eine Cortisonstoßtherapie hinter mir. Nachdem sie gegangen waren, war ich mehr als erstaunt, dass das im Spiegel ganz anders aussah. War ich erleichtert?

Na wenigstens einmal tiefer… Schnell oder mit kontrolliertem Druck? 26 und meine Haut ist verbraucht. Mein Rücken zwingt mich zum Abbruch. Gleichzeitig rührt sich hinten was in der Badewanne. Hastig versuchen den festen Strumpf überzustreifen, ohne gleichzeitig alles mit meinem Blut zu verschmutzen. Mein Rücken ist wütend. Sehr, sehr wütend. Alles, was bis dato noch nicht verspannt war, ist es spätestens jetzt. Was will man mehr?! Nicht einmal sitzen kann ich noch!!

Dann bring dich endlich um!!

Alles versteckt, alles verdeckt, alles in Ordnung…

7. Dezember 2017, Donnerstag

8:28
Alltag simulieren, Routine basteln. Aufstehen, ins Bad schlurfen, Beutel entleeren, Einlage wechseln, Deo, ein ernüchternder Blick in den Spiegel, ein schockierter Blick aufs Wagendisplay, 59,8 Kilo 6:45 Uhr, der Selbsthass kommt soeben vom Morgenlauf, fühlt sich frisch und aufgeladen für den Tag, ich schleppe mich ihm hinterher ins Wohnzimmer, dort wartet Sebastian bereits, ein Liedchen für mich trällernd, ab aufs Sofa, Haare frisieren, BH, Oberteil, auf dem Sofa umsetzen, erst das linke Bein auf seinen Schoß, der Nagel wird mit einer Salbe behandelt, der Fuß als Ganzes eingeschmiert, Stützstrumpf Nummer eins, Socke, Hosenbein Nummer eins, dann Wechsel und dasselbe Procedere auf der anderen Seite noch einmal, dann zum Dankeschön einen Kuss geben, es mir für die letzten 30 Minuten noch einmal bequem machen auf dem Sofa, meine Medikamente einwerfen, Heizstrahler läuft und dösen, bis 7:30 Uhr, dann wird aufgestanden, zwangsweise, ich würde lieber liegen bleiben, ich setze mich auf den Rollstuhl, während Sebastian sich einerseits anzieht und andererseits durch die Küche wuselt, um mein Frühstück fertig zu machen, die Schale Tee muss noch einmal in die Mikrowelle, Brotkörbchen mit Vollkorngrissini, Nutella und aus dem Kühlschrank eine Packung Hummus, dann füttert er noch schnell die Vögel, fragt, ob ich noch irgendetwas brauche, es gibt Abschiedsküsschen und er geht. Das war der erste Teil. Nun folgt der Meinige: Den Computer anwerfen und während bereits die Titelmelodie der Küchenschlacht läuft, hastig meinen Posteingang überprüfen und diverse Besucherzahlen anschauen, viel zu viel Süßstoff in den Tee, viel zu viel Nutella und mich wie so oft selbst austricksen müssen, in dem ich einmal eintauche, abbeiße und noch während ich kaue, damit beschäftigt bin, die Stange zurück in die Packung stecken und dessen offene Seite mit einer Plastiktüte bedecken, jetzt komme ich kurz in die Gänge, bringe das Körbchen mit den Frühstücksutensilien in die Küche, die Kichererbsenpaste wandert in den Kühlschrank, im Tausch gegen eine neue Wasserflasche, die Wasserflasche wird in diesem nagelneuen Termoschlauch versenkt, mit dem restlichen Tee die letzten Minuten der Kochsendung gucken, während bereits die Stoppuhr läuft, die Farben mit Wasser benetzt werden und ich behelfsmäßig gedankenlos Striche an den Federn vornehme, dabei immer noch so unendlich müde, dass ich schlafen will, und daran wird auch das Rauchzeichen gebende Räucherstäbchen nichts ändern und, um zum Schluss zu kommen, wird diese Prozedur jetzt 2 Stunden dauern -dann habe ich wenigstens ein kleines Soll des Tages erreicht.

Und WEHE diese fixe Struktur wird irgendwie durcheinandergebracht! Fine sitzt vor der Tür und weint; Sebastian hatte die Schnauze voll und alle beide samt Futter hinaus komplementiert. Martha hatte schon wieder das gesamte Treppenhaus mit ihrer Kotze dekoriert und das fällt ja nun mal leider in seinen Zuständigkeitsbereich. Gestern drohte er den Katzen damit, dass wir uns bald einen Hund anschaffen würden und dann könnten sie sehen, wo sie bleiben. Ich denke dabei gerade: „Wie praktisch! Der würde die Kotze auffressen!“.

9 Minuten später, Fine wieder ins Haus gelassen, die kotzt und scheißt wenigstens draußen; das ganze Haus stinkt nach Katzenklo. Da kommt es wieder zu diesem Phänomen, bei dem ich mir am liebsten selbst die Fresse einschlagen möchte! Und das alles nur wegen der bekloppten Katze, weil ich sie reinlassen wollte, musste, damit die Vögel wieder fressen können! Natürlich musste ich die nagelneue Heizdecke abnehmen, ehe ich zur Terrassentür gehen konnte. Doch wieder zurück UNFÄHIG, mir diese wieder anzulegen, und während ich mich so bezaubernd vor mich hin ärgere, geht das mit dem Gähnen wieder los. Darauf wartend, mir auch ohne selbst zugefügte Gewalteinwirkung alsbald den Kiefer auszurenken!! Je mehr ich gähne, desto müder werde ich und natürlich desto schneller schwinden die Kräfte. Und da sage mir jetzt einer bitte schön, ich SOLL IN SO EINER SITUATION RUHIG BLEIBEN??!! EINEN SCHEISS WERDE ICH, WEIL ICH ES NICHT KANN!!!

Ganz vorsichtig die Hypothese in den Raum flüstern, heute noch müder zu sein als gestern. Wessen bedarf es jetzt? Eines Energydrinks, Matetees, Kissens, des Sofas oder was?! Selber schuld, wenn ich so einen Schwachsinn schlucke. Aber für den Moment war diese Mischung abends ganz friedlich. Musik oder Tiersendung? Noch 45 Minuten, ehe hinten die Tür wieder aufgeht und ich würde gut daran tun, genau DARÜBER nicht weiter nachzudenken!

15:33
Die Sonne bereits hinter der Hügelkette im Westen verschwunden. Der Beutel war kurz vorm Platzen. Ich wollte doch nur eine halbe Stunde schlafen, aber so wurden zwei draus, mein Herz rast und ich bin alles andere als wach. Noch 90 Minuten bis zur Sitzung mit Brigitte, ich müsste mir das Dokument durchlesen, ich wollte noch malen, noch etwas schaffen… Stattdessen instabil, mir ist unglaublich schwindlig, sobald ich stehe, droht das Körpersystem Opfer der Erdanziehung zu werden. Kaum hatte ich auf dem Sofa die Augen geöffnet, unverzüglich weitere 20 Tropfen Tramal zur Mittagsdosis eingeworfen. Also Temesta ist auch nicht das Gelbe vom Ei, wie mir scheint. Einfach noch mehr Opiate und dazu Morphine? Das beeinträchtigt wenigstens meine Funktionalität nicht. Am liebsten würde ich mich jetzt aufschlitzen. Warum?

WARUM muss es immer ein WARUM geben? Kann ich nicht sagen: Einfach so?! Ich sitze gerade hier in dieser Stille und werde mir der trügerischen Ruhe, dieser falschen Harmonie bewusst. Na?! Wann knallt es?!

Hinten in den Jungbirken landet eine Elster. Ganz kurz, dann ist sie schon wieder Geschichte, kann mir den Drang in Richtung Kamera ersparen. Ganz laut Musik anmachen! Vielleicht spuckt der Player ja doch noch das richtige Stück aus, um mir dabei die Kante geben zu können. Das sollte mich aufwecken, dieses bisschen Schmerz, dieser benutzerfreundliche Rausch.

Die Abendstimmung, das Abendlicht, ich sehe mich in Jennersdorf ankommen, laufend, um dort bei der Beleuchtung bis zu Sebastians Feierabend hin und her zu rotieren. Die kleine, braune Pumpflasche holen, dazu auch noch die blaue Blechdose Tabletten, bunt gemischt. Die Vögel auf dem Restaurant haben etwas Melancholisches in diesem schwindenden Licht. Ich sehe den Tod, vermag ihn zu erahnen.

Auf diesem Wege kommt mir das Glas mit dem Psychopax unter. Aber auch nur, weil ich die Illusion, mich in irgendeiner Art in einen Zustand ohne Angst befördern zu können, nicht aufgeben will und erst die Blisterpackungen Gewacalm und Temesta auf dem Tischchen sehe. Warum selbst verletzen? Um mich selbst zu vergewissern, dass es rechtens ist, eine Therapeutin ins Haus kommen zu lassen? Eine Therapie zu brauchen, verdient zu haben? Wer kommt mir da mit Ratio? Im Land der zerstörten Gefühle gibt es weder Vernunft noch Logik!

Den gesamten Chemiemüll vor mir aufbauen, die Petrischalen öffnen. Da sehe ich meine Mutter, ihre Angst vor Tod und Verlust. Und ich bekomme die Worte kaum noch über die Lippen: Ich sehe sie sterben… Und es tut mir so leid, zugleich erkenne ich mich selbst, keinen Deut besser, aber im Vergleich zu ihr will ich lieber sterben, als das noch einmal 37 Jahre aushalten zu müssen. Und die Tränen laufen und laufen, und die Stimme versagt und bleibt stecken, wie auch der Atem auf der Strecke bleibt und das Gefühl der einzelnen Wassertropfen, die über die Wange laufen, bringt mich den Rasierklingen noch näher.
Ganz kurz, eine Stunde noch allein. Die Klingendose suchen, dabei über die Skalpelle stolpern.

Dafür bist du doch viel zu dämlich!!

Die Selbstmord-Playlist vom 21. Mai 2015 erfüllt den Raum.

Bring dich um! Es war doch so schön, so wunderschön, als du endlich die Augen schließen konntest, oder nicht?

Das Skalpell, die Packung noch nicht einmal offen. Mir darauf die technische Zeichnung der Klinge ansehen, an der Skizze kleben bleiben. Firma Braun. Gillette wäre mir lieber. Gillette und dieser betörende Schmierölgeruch. Dabei sähen meine Arme gerade wieder salonfähig aus. Scheiß drauf! Nur bloß keine Flecken auf die Hose machen! Diese ist hellgrau und ich glaube nicht, die Kraft zu haben, mich noch selbst umziehen zu können…

Mit der Spitze zaghaft über die vernarbte Haut kratzen. Nach sieben Schnitten anfangen frustriert zu werden. Wo bleibt die Überzeugung?! Wo bleibt der „Nachdruck“? Es ist und bleibt wie es ist: Eine Rasierklinge bleibt eine Rasierklinge und eine neue Rasierklinge der beste Weg, die unglückliche Seele zu befrieden…

22 und dabei die letzten auf der Unterseite, fester, wütender. Dieselbe Handhabe mit einer nagelneuen Rasierklinge- das ganze Ergebnis würde sich gewaltiger darstellen. Es bleibt die Frage danach, ob das jetzt reicht. Irgendeinen der neuen, sauberen Schlauchverbände überstreifen, der Aufruhr tief in mir noch nicht zur Gänze gestillt. Das blutige Handtuch verschwindet wie auch das Skalpell in meiner Schultasche am Rollator, die schwarze Armstulpe mimt den letzten Vorhang bei einem geschmacklosen Theaterstück, ohne Zugabe. Sieben nach 16 Uhr. Vor allem die Wunden auf der Unterseite des Arms brennen dezent. Spätestens gegenüber Brigitte sitzend werde ich mir lächerlich vorkommen. Ihre Welt wird auf die meinige prallen und es wird sein wie Tag und Nacht. Zum Psychopax greifen… Dosismenge? Unbekannt.

Mit nach innen gerichteten Augen auf die Explosion des Himmels warten.

17:55
Ich kann nicht gerade behaupten, mich betäubt, gleichgültig oder in irgendeiner Form berauscht zu fühlen. Bedurfte es meiner eigenen Worte, meine eigene Stimme DAS sagen zu hören, was ich gerade von mir gegeben habe? Oder zuvor, noch vor Brigittes Ankunft, ich hatte das Diktierprogramm das neunseitige Dokument, welches ich in den zwei Wochen seit der letzten Therapie für diese angelegt habe, das Gespräch mit meinem Bruder, Träume, Auffälligkeiten, vorlesen lassen. Meine eigenen Worte aus dem „Mund“ einer anderen Frau zu hören. Und dann eben noch einmal gleich im Anschluss bei der Therapie… Ich bin aufgewühlt, innerlich, wie ein Acker, den man umgepflügt hat. So vieles ergibt Sinn, erst recht in der Zusammenschau mit Brigittes Reaktionen, ihrem Gesichtsausdruck… Und zugleich mischt sich die vermeintliche Ratio ein, will alles zerklären. Kommt mit ganz alten Kamellen um die Ecke gebogen, Erklärungsansätzen, denen ich schon seit Kindertagen die Treue halte. Schwer seufzen. Was schlucke ich noch? Mittlerweile keine Übersicht mehr darüber, was bereits konsumiert wurde. Ich werde noch weiter malen, denke ich.

Ein paar kurze Sätze mit Sebastian wechseln, die Panik hört interessiert zu. Er hat mir eine Schale Tee gemacht, ist nach oben gegangen; sicher für 90 Minuten oder so. Malen und währenddessen die Geschichte des Kindes weiter spinnen? Mich zurücklehnen und mein neues Video noch einmal auf mich wirken lassen?

DU FAULE SAU!!

Eventuell noch ein paar Striche, die Zeit voll machen auf 3 Stunden Tagesleistung…

18:43
Plötzlich eine Erinnerung, meine Mutter und ich vor der Ballettschule, traute Zweisamkeit… Ich sehe sie sterben… Ein unbegreiflicher Schmerz breitet sich in mir aus, wie eine überdimensionale Hand, eine Klaue, die plötzlich zupackt, ihre langen Nägel in mein Fleisch schlägt und den Griff enger und enger und fester und noch fester werden lässt… Da frage ich in mich hinein: „Mama, was habt ihr bloß mit uns gemacht? Was hast du mit mir gemacht? Warum sagst du, ich sei das Wichtigste für dich, aber ich habe das Gefühl, wegen dir nicht leben zu dürfen?!“.

Tränen. Das innere Kind weint…
„Warum bekomme ich keine Antworten? Warum bin ich so schlecht? Was habe ich verbrochen? Was habe ich dir angetan? Weswegen muss ich leiden? Warum spielt es keine Rolle, wie oft du sagst, dass du mir das Beste wünscht, dass du alles für mich tun würdest? Denn umso mehr wachsen Schuldgefühle, schlechtes Gewissen, umso mehr wird meine Daseinsberechtigung ad absurdum geführt? Je häufiger du mir unter Tränen sagst, wie sehr du mich liebst, je fester du mich dabei drückst, um so mehr Kraft bekommen die Suizidgedanken. WARUM?! Sag mir doch endlich WARUM???!“.

1146 Stunden. Sebastian oben. Ich allein. Und so greife ich ein weiteres Mal zum einzigen Heilmittel, das ich in der Hand zu haben scheine…

Der Atem wird langsamer, während ich mit einem Edding die erste Kante des neuen Werkzeugs markiere.

Das ist doch alles nur SCHEISSE! Das kommt von deinen Tabletten, du hast eine Psychose!!

Ja? Habe ich das? Bin ich ein ewig nachtragender Mensch? Der jede Kleinigkeit überbewertet? Zwischen den Zeilen fehlinterpretiert? Immer alles auf mich selbst bezieht? Eine Dramaqueen?!

Die kleine Tischlampe auf den blutigen Unterarm gerichtet. Viel zu zaghaft, dem wunderschönen Metallstück nicht gerecht. Ehe in mir etwas sagt: „Denk an den Schmerz!…“. Nummer 7 schlägt ein. Unzählige Rinnsale. Beim Gedanken an meine Videos bekomme ich Panik. Das Blut tropft aufs Tuch, eine Seelenträne nach der anderen. Meine Seele spricht nicht, das innere Kind spricht nicht, aber über diesen Umweg ermögliche ich ihnen wenigstens ein bisschen Trauer zu leben und abzulassen. Die Schnitte, die folgen, sind zumindest dezent überzeugter. Die Hand auf dem Tisch ablegen, um daran teilhaben zu dürfen, wie sich das Schauspiel verselbstständigt. Was hat mein Bruder gedacht, als er am 21. Mai 2015 vor meinem leblosen Wrack kniete, auf der Suche nach Venen für einen Zugang die Ärmel nach oben schob und über 300 Schnitte zu sehen bekam? War er da ganz Profi, funktionierte im Rahmen seiner Arbeit oder hat er sich doch gefragt, wie & nach rechts markieren um Himmelswillen es dazu gekommen sein muss?

Als ich das alte Handtuch zusammenfalte und hochhebe, um es in der Tasche verschwinden zu lassen, ist es dreimal so schwer und warm. Wie viele Schnitte waren es? 12? 15? Kein Fleck auf der Hose, nur dezente Spuren an der rechten Hand. Heftige Kopfschmerzen setzen ein. Süßstoff in den Tee, trotz Panik das Video einschalten und noch irgendetwas anderes einwerfen. Von mir aus noch mehr Psychopax…

19:47
Das Video ansehen, „Das innere System“.

Ich sehe die Uhrzeit, ich denke, Sebastian kommt bald runter, und wie ein T-Zug erfasst mich die nächste Panik, ich beginne ohne darüber nachzudenken erst auf meinen linken Unterarm einzuschlagen, mit der Faust darauf herum zu hämmern, ehe ich den Verband darunter einmal abrupt ein Stückchen nach oben ziehe und ihn von den daran festgeklebten Wunden reiße. Plötzlich ein Dejavuegefühl. Der Arm tut weh. Angenehm weh. Aber es reicht nicht. Ich sollte Sebastian oben anrufen und ihm sagen, er kann sich ruhig Zeit lassen. Statt Psychopax hatte ich mir ein weiteres Mal 20 Tropfen Tramal verordnet. Wie viele es davon mittlerweile sind? Ich will die Ruhe, die gedämpfte Stimmung genießen… Aber ich schlechter, böser und vor allem dreckiger Mensch darf nicht!

Ruft nicht tatsächlich Sebastian von oben runter: „Macht es was aus, wenn ich noch bis 9 mache?“. „Nein!! Überhaupt nicht! Ich wollte dich schon anrufen; beim Gedanken, dass du runterkommst, krieg ich Panikattacken…“, um noch hastig hinzuzufügen: „BITTE nicht persönlich nehmen!!“. Schön und gut, aber die Angst führt bereits einen Veitstanz auf meinem Gemüt aus. Ich könnte anfangen, zu weinen. Sollen diese ganzen beschissenen Tabletten und Tropfen nicht genau DAS eindämmen, verhindern oder lindern?! Ich kann nicht mehr…

Am Unterarm herum kratzen…

Während das Video läuft, erst eine weitere Schnapspraline auspacken und dann, weil die mir zugefügten Schmerzen zu schwach sind, die schwarze Stulpe abstreifen und mit dem Daumen, dem Daumennagel ganz fest über die Schnitte kratzen. Meine Ohren unter den Kopfhörern werden ganz warm, neue Blutflecken zeichnen sich auf dem Stoff ab. Es tut mir so leid, dass ich das alles hier niederschreibe und – unverantwortlich- auch noch veröffentlichen werde. Die Augen werden erneut geflutet. Liegt das alles nur an Benzos und Opiaten? Oder hat die Sitzung etwas aufgebrochen, das nun eitert, ungesehen, ganz heimlich und leise im Verborgenen? Ich will sterben!!

20.58
Sebastian kommt runter, macht für mich Kartoffeln in den Ofen und fragt: „Willst, brauchst du sonst noch was?“.
„Ja…“, ich breche zusammen: „Bitte, halt mich ganz, ganz fest!“.
Schon sprudelt es aus mir raus. Nicht fertig werden, Versuche zu unternehmen, mich, mein Verhalten zu erklären. Mich zu entschuldigen, „ihm nicht gerecht zu werden“, „wegen ihm Panik zu bekommen“, „an ihm Gesten und Ähnlichkeiten mit dem vermeintlichen Täter zu sehen, in ihn hinein zu interpretieren“. Ein endlose Liste.

Ist das der Grund, das Glück, noch nicht mehr Selbstmordversuche unternommen, mich nicht schon längst umgebracht zu haben?

2. November 2017, Donnerstag

8:39
Es ist spät, viel zu spät!! Ich bin wütend auf mich selbst, auf mein marodes Gehirn!! NATÜRLICH habe ich den entscheidenden Teil in meinem Traum vergessen und durch einen nachkommenden verdrängen lassen, in dem Sebastian in meinem Rollstuhl saß, mit seinen Füßen diesen rückwärts vorwärts bewegte, die Bundesstraße entlang, und ich hing an einem Seil am Rollstuhl, so schleifte er mich sozusagen auf dem Boden hinterher, nachdem er mich von der Schule abgeholt hatte. Das erschien die schnellste Variante, nach Hause zu kommen. Bis wir auf dieses kleine Haus am Straßenrand erreichten und auf der breiten Straße ein Streifen voll mit winzigen Küken in allen möglichen Farben, die meisten bereits überfahren, und wir sammelten verletzte, überlebende ein.

Der Reihe nach: gestern 90 Minuten gemalt, mehr war für den Rest des Tages nicht drin, es folgte nur noch das Sofa, das viel zu fettige Festtagsessen meiner Mutter, anschließend den Nachmittag verpennt und abends bei der Sitzung binnen Minuten von Lachen in Weinen übergegangen, um mich die restlichen beinahe 2 Stunden nicht mehr einzukriegen. Nachts im Bett noch gut 1 Stunde lang in diesem Buch gelesen, in dem die Protagonistin beschreibt, was ihr alles mit ihrem sadistischen Freund widerfahren ist, wie sie in Sadomasoclubs auf brutalste Art und Weise misshandelt wurde. Vermutlich hat mich Sebastian deswegen am Rollstuhl hinterher geschleift.

Ein kurzer Einwurf: Auch heute ist es nicht weit her mit meiner Feinmotorik; ehe ich anfange, fallen bereits Pinsel zu Boden, werden unabsichtlich mit dem Stil in Farbe getaucht. Das kann ja heiter werden, zumal die Panik sich in meinem Brustkorb breitmacht, ich keine Luft mehr bekomme und die Sekunden zähle, ehe sich hinten die Tür öffnet und ich meine Aufmerksamkeit weder Tagebuch noch Bild uneingeschränkt widmen kann.

Zurück zum Traum: Scheinbar kam ich gerade von der Reha zurück, aber niemand war zu Hause. So fragte ich die Mutter meiner Freundin unten in der Volksschule, ob ich meine Sachen dort lassen könnte, um sie später abzuholen. Ich betrat das Gasthaus, ging in mein Zimmer und suchte nach Wäsche (das kam in einer etwas anderen Form auch im Buch vor), aber ich fand nichts, keine einzige Unterhose. An der Stelle setzt bereits der Lochfraß ein! Das Gasthaus war tagtäglich gut besucht. Der Parkplatz vorne und hinten voll mit Autos. Meine Mutter hatte aus irgendeinem Grund zwei kleine Kinder adoptiert (Adoption kam in der Fernsehsendung nachmittags vor und im Buch war die Mutter des Opfers wieder schwanger geworden, und so äußerte die Tochter ihre Angst, dass der Vater sich nun auch über das neue Kind her machen würde, sobald er aus dem Knast raus sei). Scheinbar diskutierte ich mit meiner Mutter über diese Kinder, vermutlich in die Richtung, ob sie nun ernsthaft glaubt, an ihnen etwas besser machen zu können. Ganz sicher erwähnte ich, nicht deren Namen zu kennen, geschweige denn mir ihre Geburtstage merken zu können, was sie sehr verwerflich fand. Aber da gab es noch etwas anderes… Ich kann mich nur verschwommen daran erinnern, dass es zu einem handfesten Streit zwischen uns kam. Habe ich auch mit meinem Vater gestritten? […] Dem vorausgegangen war, dass ich nicht im Gasthaus schlafen wollte. Ich fühlte mich draußen wohler, hatte mir unter dieser großen Thuja ein Lager aufgeschlagen, eine Decke auf dem Boden und unzählige Kissen. Es war finster. Ich sah Gäste ein und aus gehen, konnte sie beobachten. Es war so stockfinster, dass ich einmal bei einem Geräusch aufgesprungen war, mich an die Wand gedrückt hatte und plötzlich kam irgendetwas an mir vorbei, blieb direkt vor mir stehen, drückte sich wiederum an mich, ganz fest. Ich fühlte, wie mein Herz zu schlagen aufhörte! Ich spürte, dass ich nicht mehr atmete vor Panik. Es war so, als stünde ich nicht, sondern läge auf dem Boden, und diese Gestalt -viel schwerer als ich- auf mir drauf. Ich sah nichts, ich erkannte nichts, also glitten meine Hände von links nach rechts den Körper vor mir entlang und spätestens am Hinterteil hatte ich plötzlich einen Schwanz in der Hand. Wie eine kupierte Rute bei einem Jagdhund, oder von der Länge her wie ein männliches Glied. Und spätestens da, als ich diesen Teil meiner Hand fühlte, wich die Angst ganz plötzlich. Denn jetzt wusste ich, dass mir das „vertraut“ ist. Wieder ging der Hinterausgang vom Gasthaus auf, meine Mutter und irgendein Gast traten hinaus und das Wesen machte sich mit einem Satz davon. Jetzt wusste ich, dass es „lediglich“ ein Reh war. Und auch wenn die Logik im Traum grundsätzlich nichts mit der Realität zu tun hat, stellte ich mir bereits da zwei schwerwiegende Fehler fest: „Warum war das scheue Reh nicht geflohen und hatte sich so fest an mich geschmiegt? Und Rehe haben doch gar keinen Schwanz… Oder?“. Meine Mutter ging mit dem Gast ums Haus und besprach mit ihm Renovierungsarbeiten, die sie machen lassen wollte, damit die adoptierten Söhne später die Hütte in einem einwandfreien Zustand übernehmen könnten. Vielleicht war das der Grund, für den Streit. Vielleicht aber auch nicht. Sie stand dann in der offenen Tür, mit Rücken zum Flur, dahinter trieb sich irgendwo mein Vater herum. „Hast du ihnen ernsthaft alles überschrieben?!“. […] 

Beschissene Vergesslichkeit! Ich weiß nur noch, dass dann meine Freundin Birgit auftauchte, zusammen mit ihrem Lebensgefährten, der irgendwie Therapeut war und mich massierte, ehe wir gemeinsam runter zur Volksschule gingen (also ich fuhr im Rollstuhl), Marianne öffnete nach langem Klingeln die Tür und meinte, meine Tasche sei nicht mehr da. Ihr Ex hätte sich die ganzen Sachen geholt und bräuchte sie, um sich daraus etwas zu bauen. Wie bitte?! Aus meinen getragenen Unterhosen?! Mir schauderte. „Ich wünsche dir viel Glück dabei, dein Zeug wieder zu bekommen, aber ich möchte nicht an deiner Stelle sein. Mach dich auf einen harten Kampf bereit!“. Ende… Was fange ich jetzt damit an?
Gestern in der Therapie wurde ausnahmslos die Sterbefantasie in ihre Einzelteile zerlegt. Ich wurde mir meiner „Erbschuld“ wieder einmal bewusst. Aber alles, was Markus sagte, ergab Sinn! Mein einziges Problem: die fehlende Erinnerung. Und solange ich diese nicht wieder gefunden habe, kann ich auch nicht zulassen, was dermaßen offensichtlich auf der Hand liegt. […] Ich versuche mir wieder und wieder einzubläuen, dass ich bei JEDER anderen Person SOFORT Bescheid wüsste, unverzüglich 1 und 1 zusammenrechnen könnte! Aber weil es mich selbst betrifft, bin ich auf beiden Augen blind!! Und deshalb habe ich geweint. Aber vorrangig, weil ich meine Mutter ständig sterben sah. Was habe ich ihr angetan? Unablässig diese eine Frage. Warum habe ich als kleines Kind so eine Macht, sie zu töten?

Die Erinnerungen werden kommen, erst bruchstückhaft, dann werden sich die Einzelteile aneinanderreihen, werden Sinn ergeben. Dann kommt der Hass und zugleich der Schmerz, der noch schlimmer ist als alles davor. Aber dann, dann wird es nur noch heilen.“, die Verheißung meines mutmaßlichen „Sektenführers“.

Und oh! Wie grandios! Nur noch eine halbe Stunde bis zum Eintreffen der Volkshilfe! Starke Kopfschmerzen; sehe mich alsbald beim HNO-Arzt sitzen, denn wie gestern zusätzlich Ohrenschmerzen und bei Druck auf beide Wangenknochen Schmerzen bis tief hinein in den Oberkiefer. Freitag am Abend geht die Party weiter. Noch mehr Dinge, über die ich öffentlich nicht sprechen darf. Wieder ein Monstertext, den ich völlig kastrieren muss. So wie ich mich selbst immer wieder beschneiden muss, in Wort und in Gedanken.

Was für ein böses, böses Mädchen!

Mir heute lediglich die Glaspumpe Tramal bereit gelegt. Ob ein wenig Training auf dem Laufband möglich sein wird? Definitiv heute nicht so viel tratschen mit den Damen. Das kostet Zeit, kostet Geld…

14:10
Zuerst wollte ich schreiben, dass ich angestrengt darüber nachdenke, ob ich nicht doch eine kleine Ausfahrt machen sollte…
Zuerst wollte ich festhalten, dass bei jedem Schritt meine Wampe, meine fette, ekelerregende Schweineschwarte von Wampe erzittert, in Wallung gerät, von links nach rechts und wieder zurück schwabbelt…
Aber stattdessen sieht der Anfang nun wie folgt aus: Ein winziger Moment der Unachtsamkeit, und schon ergießt sich eine hasserfüllte Schimpftirade über mich und meine kümmerlichen Reste…

DU DRECKIGE HURE!!
DU DRECKIGE SAU!!
DU BIST DAS LETZTE, WIE KANN MAN NUR SO EINE DRECKSAU SEIN??!!

Das war noch lange nicht alles, minutenlang verstummte er aus meinem Munde nicht mehr, hatte ihn übernommen, okkupiert. Beim Entleeren vom Katheter war er mir von der Klobrille gerutscht und meine stinkende Piste hatte sich auf den zuvor erst frisch gewischten Boden ergossen, eine riesige Pfütze!! Zum Teil stand ich darin, zum Teil der Rollator. Meine Socken hinterließen dreckige Spuren auf den weißen Fliesen, und man frage nicht, wie es sich mit den Rollatorreifen verhielt! Ich war unfähig, den Boden mit einem Lappen einigermaßen trocken zu wischen!! Und er schimpfte und zeterte und machte mich zur Sau und ließ mich seinen Hass spüren…

WENN DER BESCHISSENE KRÜPPEL SICH NICHT EINMAL BÜCKEN KANN!! WAS KANN ER ÜBERHAUPT NOCH??? GAR NICHTS MEHR, VERRECKE ENDLICH!!!

Mein Schädel ist hochrot angelaufen, fühlt sich wie Fieber an. Vor lauter Anstrengung, vor lauter Abscheu und Ekel vor mir selbst. Die rechte Hand klimpert. Das sei gut, meinte Markus, so hätte ich wenigstens eine Strategie zum Spannungsabbau, ohne mir dabei wieder nur zu schädigen. Ich war nicht zu mehr als einer Stunde am Bild gekommen. Ramida fragte mich um Rat, was das Laufen im Winter betrifft. Also doch wieder mehr und länger unterhalten, als geplant. Aber sie arbeitete fleißig weiter und es bereitete mir Freude, wiederum ihr eine Freude zu machen. Indem ich ihr ein Tütchen der Handwärmer schenkte und ihr schlussendlich bei Amazon etwas fürs Handy besorgte. Sie gab mir sogar einen Kuss auf die Stirn. Aber Endorphine, Glücksgefühle… Das darf alles nicht sein! Sonja gebeten, mich heute durchzubewegen. Die 20 Minuten auf dem Laufband… Was für ein elender Scheißdreck!! Das Minimum vom Gerät, gerade einmal 300 m/h (!!!!), war mir zu schnell!! Und dabei einen Puls von mindestens 150!! Nichts geht, gar nichts geht mehr!! Verzweifelt, zornig, wütend, am Ende, kurz vor der absoluten Resignation, und wieder Verzweiflung usw. Fahre ich raus, tue ich mir das an, mich gut eine Stunde lang vorzubereiten, mit meinen letzten Kräften in unzählige Klamotten zu schlüpfen, für ein paar Minuten draußen?! Weil mir dann wieder doch nur zu kalt sein wird, die Spastik zu einer schmerzhaften Erfahrung mutiert??! Sollte ich abhauen, vor mir selbst flüchten??!!! Oder hierbleiben, versuchen zu arbeiten und damit riskieren, bei Scheitern dieses Vorhabens meinem Täterintrojekt, mir selbst voll und ganz ausgeliefert zu sein?!! „Morgen bist du ja draußen.“, meinte Sebastian mittags. Ein Ausflug in den Tierpark ist geplant. Ich kriege keine Luft mehr und dabei steht die Sonne schon so dermaßen tief wegen dieser vermaledeiten Zeitumstellung! Mir erscheint es soeben unmöglich, anstatt mit der Rechten das linke Handgelenk zu umfassen und darauf herum zu klimpern, den Pinsel in die Hand zu nehmen! Kopfschmerzen, ein Druck im Schädel und dazu Schmerzen im Ohr. Totaler Blödsinn, Wahnsinn, dann in die Kälte hinaus zu fahren? Die Sonne scheint mir milde ins Gesicht. Ich kann, ich will nicht… Dissoziieren, für einen Augenblick. Die Zeit verrinnt ungenutzt. Mit jeder Sekunde davon wertloser werden.

Da taucht die Haubenmeise auf, seit Tagen zum ersten Mal wieder, mein Jagdinstinkt ist geweckt, die Kamera im Anschlag. Für einen Augenblick gibt es nur noch das, sonst nichts…

15:08
Die Vögel beobachtet und dann noch einmal gefüttert, ohne Rollator, um dabei alles zu riskieren. Zwei grenzwertige Momente. Kohlmeisen, Blaumeisen, Sumpfmeisen, Kleiber und ab und an eine Amsel an den Ligusterbeeren. Ich kann nicht. Bin immer noch wie gelähmt, unfähig, irgendetwas in Angriff zu nehmen, nichts als hier im Rollstuhl hocken und tatenlos die Vögel anglotzen. Ich ahne, dass der seltene Gast genau dann wieder auftaucht, wenn ich die Kamera weggelegt habe, und der Gedanke macht mich wahnsinnig. Kann ich irgendetwas ohne Zwang machen? Mir heute erst das Blut vom linken Unterarm gewaschen. Die Skalpelle waren wirkungslos. Kindergartenprogramm.

Da fliegt der Rettungshubschrauber vorbei. Was sollte ich an meinem Zustand noch verschlimmern? Ich hätte eine Überdosis nehmen können. Als Statement. Als Hilfeschrei. Als Warnsignal, dass ich nicht mehr kann.

16:02


Abendrot. Ich male und die Musik erfasst mich mit Haut und Haar. Erst sehe ich meine Mutter sterben. Also ich sehe sie lebendig, voller Leben, und dann ist sie plötzlich weg, ausgelöscht, tot. Der enge Familienkreis ist klein. Die ältesten Tante und Onkel, die erst gestern zu Besuch bei meinen Eltern waren. Ich sehe sie sterben. Um schlussendlich alles und jeden sterben zu sehen. Sebastian mit eingeschlossen. Mir bleibt die Luft weg. Ich sehe Friedhöfe, Leichenhallen…

Das letzte Wort ausgesprochen, folgt ein weiterer Zusammenbruch. Stimme versagt. Die Augen ertrinken. Wer hat mich bloß so konditioniert? Oder habe ich als Kind beschlossen, diesen Weg einzuschlagen und nun kann ich ihn nicht mehr verlassen?! Eine Fehlschaltung im Hirn? Wie oft wurde ich heute gefragt, ob ich gestern auf einem Friedhof war? In Gedanken war ich dort viel zu oft! Würde ich nicht dermaßen frieren, ich hätte mich längst aufgeschlitzt, um diesen nicht enden wollenden Schmerz zumindest kurzfristig auszutreiben, ihm einen anderen entgegensetzen, mir selbst körpereigenes Heroin verpassen, je mehr es schmerzt, je mehr es blutet, desto mehr Endorphine werden freigesetzt und heilen zumindest für einen Augenblick diese tiefe, unsagbar tiefe, eiternde Fleischwunde ganz tief versteckt in meiner Seele, in meinem Herzen. Vermeintlich verblute ich seit Kindertagen. Ich bin nicht fürs Leben gemacht, ich soll wohl nicht leben. In mir eingebaut ein Mechanismus, der mich zerstören will. Ist der Sonnenuntergang im Herbst nicht am schlimmsten?

17:08
Es wird schlimmer und schlimmer und noch schlimmer. In der Vorratskammer all die abgelaufenen Milchpackungen, beide Katzen am Schreien, der Kübel mit dem Katzenfutter leer, dahinter der neue Sack, noch unangetastet… Bis ich eine der Milchpackungen geöffnet habe, um die beiden Fellmonster glücklich zu machen, gehe ich vor Schwäche beinahe schon in die Knie. Kurz darauf im Badezimmer unfähig, mich ohne permanent am Waschbecken fest zu krallen stehen zu bleiben. Schwäche, immer mehr verdammte Schwäche. Dann schreien die Katzen vor der Eingangstür, und natürlich brauche ich lange, und umso lauter plärren die beiden. Als würde ich mir absichtlich Zeit lassen… Es macht mich immer aggressiver, zumal jeder Schritt mich 300 % kostet!! Jetzt brülle ich die Katzen an, ich kann nicht mehr!!

Vermag mich die nächste Sinusitis dermaßen runter zu ziehen? Würde ich es wagen, nächste Woche Dienstag ins Krankenhaus zu fahren, oder würde ich vorher bei meiner Ärztin um ein Telefonat bitten und vorfühlen, ob die ganze Fahrt nicht für die Katz wäre, sie mich unverrichteter Dinge wieder nach Hause schickt? Sollte ich erst zum HNO-Arzt??

17:54


Ich bin gestört, ohne Frage. Immer tiefer eintauchen lassen, in meinen ganz persönlichen Wahnsinn. Es tut mir leid, aber es muss wohl so sein… Am Waschbecken erneut den linken Arm gewaschen und dann mit dem Einwegrasierer zu Leibe gerückt… Kinderkacke! Nichts übriggeblieben. Hingegen der Artikel bei Wikipedia über selbstverletzendes Verhalten wahrlich armselig, und auf seine Art verschroben, irgendwie krank. Was soll die Musikliste unten dran? Und warum werden bei Selbstverletzung Borderliner als „Hauptakteure“ angeführt? Markus sagt, das sei Quatsch. Auch die erwähnte Diskussion darüber, ob Endorphine ausgeschüttet werden oder nicht, bzw. dass es in einem Atemzug angezweifelt wird, finde ich erst recht armselig.

2017-11-02

Vermutlich deswegen mein morbides Statement: Aus Kinderkacke ERNST machen; bzw. mich selbst daran erinnern, „dass es auch anders geht“…

18:13

Fieberthermometer seit 7 Minuten am Überlegen, wie viel Temperatur ich hab. Bei 37°C sind wir bereits… HEUREKA!!!! EINE ANTWORT!!!!
Nach 12 Minuten (mindestens) immer noch 37. DIE REICHEN AUCH VÖLLIG, UM MICH UMZUNIETEN!!!!

5. Oktober 2017, Donnerstag

8:38
Es vergeht eine Ewigkeit, ehe ich ansatzweise startklar bin. Die Farben benetzen, die Stoppuhr starten und einen Zug vom Tee. Auf das wortwörtliche Fressgelage folgt heute eine weitere Abrechnung: 60 Kilo um 6:45 Uhr. Dabei waren wir gar nicht essen, dabei gab es zu Mittag nur Suppe. Egal. Im Laufe des Vormittags hatte ich dank Doktor Google relativ zügig eine Diagnose für mich dingfest gemacht: akute Sinusitis. Sogleich in diesem Kartonordner im kleinen Regal nach den Resten meiner letzten Sinusitis-Behandlung gesucht und zum Glück noch ein Cortisonspray entdeckt. Des weiteren geforscht, welcher Wirkstoff gegen die Schmerzen am hilfreichsten wäre und ich habe ja wirklich so gut wie alles im Haus, eine private Apotheke. Diclofenac… Erst einen Magenschoner, so viel Zeit muss sein, auch wenn von außen kaum verständlich, beim allgemeinen Umgang mit meinem Körper, und dazu ein Deflamat. Spätestens beim Gespräch mit Markus, der sich wie gewünscht um 11 meldete, klang das Schmerzinferno schrittweise zu meinem Glück ab. Wenn auch die rechte Nasenhöhle mittags kurzfristig beschloss, Nasenbluten einzuleiten. Markus hatte seine Meinung zu dieser absurden Geburtstagsfeierlichkeit Dienstag abends. Und gab mir recht, was meinen Eindruck betraf. Nach dem Mittagessen gestern war Sebastian auch gesprächiger das Zurückliegende betreffend: „Weißt du, an welchem Punkt ich wirklich entsetzt war? Als du das mit dem Übergriff noch einmal so drastisch gesagt hast und von beiden wurde nicht darauf eingegangen! Wieder nur bagatellisiert! Und deine Mutter sowieso wieder nur mit sich selbst beschäftigt.“. Wie Markus immer wieder sagt, trotz aller Geschenke, trotz aller Anstrengungen, die sie unternimmt, um für mich NUR DAS BESTE zu wollen, bleibt dabei immer noch der fade Beigeschmack, dass sie sich einfach nicht auf mich einlassen kann! Scheißegal, was ich sage! Sie wird alles IMMER auf sich selbst beziehen und aus ihrer Warte bewerten. Was im ersten Moment ja nicht einmal verkehrt klingt. ABER sie kann nicht meine Situation, meine Gefühle sehen. Sie sieht immer nur sich selbst und ihre Reaktion. Sie kann nicht antizipieren, was das für mich bedeutet haben muss. Insofern noch eine Bemerkung von Sebastian gestern: „Ich habe sie vor Jahren mal gefragt, wie es zu all diesen Übergriffen kommen konnte, warum sie nicht reagiert hat.“. Darauf hätte sie geantwortet: „Ja glaubst du etwa, in meiner Kindheit sei es anders gewesen?! Das war völlig normal, da hat keiner was gesagt. Aber vermutlich liegt es daran, dass ich einfach stärker bin, und Bianca, was das betrifft, anders, schwächer als ich.“. Was sagt mir dieser Satz? Ist das anmaßend?! Ich kenne solche Aussagen ihrerseits sehr wohl bereits aus meiner Vergangenheit. Darum auch bei der ersten Konfrontation im Erwachsenenalter mit diesen Geschehnissen die Verteidigung ihrerseits: „Ich dachte, du steckst das so locker weg wie ich!“. Bei diesen ersten Gesprächen war von einer Entschuldigung noch meilenweit nichts zu sehen! Keine Reflexion, immer nur sie, sie, sie. Wie einfach muss es da sein, neben so einer Mutter zum Opfer zu werden? Genau das fragte ich mich auch heute Morgen nach Sebastians Bemerkung zu Donald Trump in den Nachrichten, mit seiner „Tussi“ im Schlepptau: „Na was glaubst du, was die sich denken wird? Wie oft wird er ihr peinlich sein? Aber andererseits, zweimal im Monat die Beine breitmachen und dafür gut abkassieren.“. Zu diesem Zeitpunkt zog er mir gerade einen Stützstrumpf an und wunderte sich, warum meine Fußschaufel in seiner Hand plötzlich ein Eigenleben entwickelte und sich schmerzhaft nach oben verspannte. Diese drei Wörter, „Beine breit machen“, und ich kann gerade eben noch so abgelenkt, so gut gelaunt gewesen sein wie sonst was! Mein Körper wird reagieren! Ich werde das Gefühl haben, jemand reißt meine Scham entzwei, jemand verschafft sich mit Gewalt Zugang, jemand greift dorthin, wo man nicht hingreifen darf!!! Absolute Alarmzeichen in Körper und Seele!! Die Arme wollen eine Stahlkette um die Beine binden, die Beine zusammennähen, oder gleich das Geschlechtsteil, als sei es eine Wunde, die verschlossen gehört, damit keine Keime, keine INVASOREN EINDRINGEN können!!! Auch jetzt gerade, wenn ich das diktiere, wird mir schlecht… Und deswegen zum 1000. Mal: WENN MIR DOCH ANGEBLICH NICHTS PASSIERT SEIN SOLL, WARUM DANN DIESE HEFTIGE REAKTION, JEDES MAL, WIE AUF KNOPFDRUCK???!!

Mein Täterintrojekt schweigt. Doch dann…

Das hat dir doch schon deine Mutter als Kind erklärt: Du bist zu HYPERSENSIBEL!

Aber ich? ICH?!! Mache mir Gedanken, wie unfair ich bin, wie ungerecht ihr gegenüber, allein mein Vergleich mit ihrem kaputten Gebiss in meinem Alter, in dem sie bereits hauptsächlich falsche Zähne hatte, mit meiner Bulimie! Mir wird eingeredet, wie schlecht ich doch bin, ihre Marotten nicht einfach als Charaktereigenschaft zu sehen, wenn sie doch andererseits die beste Mutter der Welt ist, die alles für ihre Tochter tut, am liebsten, wenn man es mit Geld kaufen kann… Wenn ich sie schon nicht mehr an mich heranlasse! Nur die Konfrontation zum Beispiel „lediglich“ mit diesem einen Arschloch, die wird gescheut. Warum auch, war ja nichts Schlimmes, das bisschen Getätschel, meine Güte, das war ganz normal, das kann man doch einem erwachsenen Mann nicht über 20 Jahre lang nachtragen, daran erinnert er sich doch gar nicht mehr und sie mag ihn ja auch überhaupt nicht, also ist ihre eigene Integrität wichtiger, indem sie ihm aus dem Weg geht, mit ihm nichts zu tun hat und es ihr damit super geht. Hallo?! Es ist ihre Versicherung, die mir die Reparatur meiner Kamera bezahlen wird! Es war mitunter auch ihr Geld zum Geburtstag, mit dem ich mir gestern bei der Gelegenheit dasselbe Modell für lediglich 390 € mitgenommen habe, weil es nur noch ein Stück gerade im Angebot gab, das bei Nachlieferung erneut über 500 kosten würde, weil der Verkäufer meinte bei Beschreibung meiner eigenen, dass das ein Totalschaden sein müsse. Boah!!! Was bin ich für ein schlechtes Stück Scheiße!!!

Säße ich mir selbst gegenüber, wäre ich nicht ich, würde ich mir das alles berichten, ich würde mich nehmen und fest schütteln: „VERDAMMT, WACH ENDLICH AUF! SIEHST DU DAS ALLES NICHT??!!“. Aber leider, tragischerweise, bin ich nun mal ich, obwohl ich nicht einmal weiß, wer oder was ich bin! Nebst den soeben wieder erwachten Kastrationsängsten sehe ich meine Mutter sterben und habe gerade so ein eindringliches Bedürfnis, ja, ich möchte sagen, den Zwang, den Pinsel jetzt wegzulegen, zu meiner Rollatortasche zu greifen, die Dose, ein Tuch, einen Verband und in den Untiefen meiner ehemaligen Schultasche irgendwo eine noch eingeschweißte Packung Bic-Rasierklingen hervor zu zaubern und mich bestrafen für alles, was ich soeben geschrieben habe, gedacht habe und was ich mitunter aber auch aus irgendeinem Grund veröffentlichen werde. Weil ich von außen die Bestätigung brauche, dass das nicht alles Einbildung sein kann und weil ich eben ich bin und mir nicht gegenüber sitze, um mich wach zu rütteln, mich aufzuwecken, was für ein krankes System das eigentlich ist? Verziert mit einem Haus, mit jeglichen Annehmlichkeiten, die der Mensch nicht braucht, aber gerne hätte, und alles UMSONST!…

Du willst dich doch nur verletzen, weil die drei Termine heute deine Panik schüren!!

Nein… Im Moment bin ich mir ziemlich sicher, warum ich das tun möchte… Warum ich es tun werde… Die Rechte wandert zur Maus und stoppt damit die Uhr. Die Hände sind kalt, aber aktuell geht es ohnehin um den Schmerz, um die Qualität der Bestrafung, nicht darum, mir gutzutun, in dem ich Schuld und Dreck ablasse… Noch eine halbe Stunde allein.

Da meldet sich etwas in mir, obwohl ich gerade nicht rekapitulieren kann, was ich in den zurückliegenden 45 Minuten an verbalem Mist ausgekotzt habe…

Mama, es tut mir leid…

Bei dem vorhandenen Schnittmuster mangelt es anfänglich an Orientierung, wo ich ansetzen soll. Ganz leise in mir…

Willst du den nächsten Tag betäubt wegschmeißen?

Scheint so. Der erste Schnitt, das Brennen zieht durch den ganzen Körper und Blut quillt an mehreren Stellen aus der doch so zarten Linie. Ein Aufatmen, gewaltig, als tauche man nach 2 Minuten aus dem dunklen Sumpf auf und würde wieder atmen, leben. Es brennt sogar so stark, die Klinge schneidet so scharf, aber ich bin zu feige. Vielleicht auch weil ich doch im Ansatz erkenne, selbst wenn ich es mir nicht eingestehen DARF, wer hier unterm Strich das Opfer ist? Aber selbst zart über die Haut zu streichen führt zu einem dementsprechenden Ergebnis. Ich weiß, wie ich im Krankenhaus immer angesehen werde. Wie mit dem Kopf geschüttelt wird, mit erhobenem Zeigefinger, wenn die nächste Anämie verrät, wie meine Unterarme aussehen werden. „Na, na, na!“. Als würde ich etwas anstellen. Als sei ich unverbesserlich. Und keiner sieht das Leid dahinter. Die tagtäglichen Qualen. Und erst recht das, was der Psyche nicht mehr zugänglich ist, weil es sie sonst komplett zerstört hätte. Um sich dann in solchem, wie die Außenwelt es despektierlich nennen würde, „Fehlverhalten“ zu zeigen. Wo sich schnell urteilen lässt: „Du machst das selber! Also bist du selber schuld!“.

Zehn Schnitte. Noch nicht fertig. Auf die Betäubung, die einschießenden Endorphine warten, um fortzufahren. Dabei bleiben mir noch 10 Minuten.
Spätestens beim 21. Schnitt versuchen mich zufriedenzustellen. Mich, den Teufel in mir, mit seinem Tross aus Schuldgefühlen…

Mama, schau, ich hab es wieder gutgemacht…

Auch die Rechte besudelt. Ich sollte, ich darf der Volkshilfe nicht die Hand geben. Frisch gewaschen und blütenweiß der neue Verband. Aber ich so ungestüm mit meinen verkrüppelten Händen. Ein winziger Tropfen landet auf der weißen Hose. Noch 7 Minuten. Hastig mein makaberes Equipment verschwinden lassen und ins Badezimmer, um meine Hände zu waschen und den Fleck zu entfernen…

10:01
Sogar eine stark riechende Seife gewählt; als könne man die Schuld, die ich auf mich geladen habe, die an mir klebt, riechen. Ein friedliches Brennen verbirgt sich unter Verband und schwarzem Armwarmer. Ich bin so schlecht. Was für ein Psycho.

18:01
Mich erst meinem Sumpf widmen, ehe ich die Berichte für Mieke abschließe. Soeben ergießt sich ein warmer Regen über mein rechtes Bein… Noch 5 Minuten zuvor, Sebastian hatte mir gerade geholfen vom Sofa aufzustehen, schoss ein Krampf schmerzhaft ins Bein hinein und das Knie winkelte sich blitzschnell ab, wie es normalerweise im Sitzen oder Liegen der Fall ist, und ich sank in mich zusammen, nach rechts und wäre beinahe umgefallen. Mindestens 1 Stunde lang, oder waren es sogar schon zwei, hat es gekrampft und ich weiß nicht warum. Auf 1,3 mg Hydal folgten weitere 2 mg retard und soeben wollte ich mir zusätzliche 2,6 einwerfen. Aber die Dosis Tramal fiel etwas höher aus, und scheint nun in Kombination und vielleicht auch durch die kurzweilige Bewegung in Aktion zu treten. Ich war drauf und dran zu verzweifeln.

Die Ausfahrt mit der Rettung war ganz lustig, die beiden Jungs sehr gesprächig, es war witzig und das bei meiner Zahnärztin schnell erledigt. Als sie nach Begutachtung vom gesamten Gebiss meinte, das würde ja wunderbar aussehen, grunzte ich lachend, während sie Geräte und ihre Finger in meinem Mund stecken hatte. Meint sie das ernst?!
Aber als wir zurückkamen, war ich unfähig. Ich fühlte mich krank. Musste dann extra noch einmal zurück zum Klo, mein Darm meldete sich nach Tagen zum ersten Mal, und dann… Ja dann folgte eine kleine Katastrophe. Man möge nicht glauben, ich übertreibe, um in irgendeiner Form Mitleid zu evozieren! Ich stand da MINDESTENS 3-5 Minuten und versuchte verzweifelt, mir die Hose hochzuziehen!! Die Finger schnappten sich den Bund, zogen 1 mm, verkrampften sich und ich musste sie ausschütteln. Während dieser ganzen Prozedur wankte ich vor und zurück und vor und zurück. Von…

DEIN LEBEN IST NICHTS MEHR WERT!!

bis…

Du bist zu fett geworden!!!!

war alles vertreten. Ich schleppte mich anschließend ins Wohnzimmer und konnte nicht mehr…

18:17 und der beschissene Computer schmiert wegen dem Diktierprogramm erneut ab, verschluckt jede Menge Änderungen an einem der zu korrigierenden Dokumente der Firma und natürlich vom Tagebuch! Ich bin es so satt! Hatte ich nicht gerade gesagt, dass ich wenigstens etwas gemacht hätte, wenn das Notebook aktuell einwandfrei funktionieren würde. Und da lässt mich dieser alte Blechtrottel hier auch noch im Stich, obwohl das Programm darauf vergleichsweise zehnmal so schnell läuft! Zeigefinger und Ringfinger auf den Tasten „Strg“ sowie „S“ parken und speichern, speichern, speichern. Blöde Drecksau!

Ich steckte mir zum zweiten Mal an diesem Tag ein Fieberthermometer in die Axel (genau bei dem Satz war er vorher abgestürzt). Kein Fieber, wie schon mittags nicht, als ich das Gefühl hatte, mein Schädel würde glühen. Jetzt fühle ich mich wunderbar. Ein astreiner Rauschzustand, aber wie schon den ganzen Tag damit beschäftigt, den beschissenen Katheter tiefer unter die Bauchdecke zu schieben… Und jetzt gerade mache ich mir in die Hose! ES REICHT!!! Das kann doch nicht zur Dauergewohnheit werden, wenn ich nicht den ganzen Tag über Preiselbeersaft trinke?! Und die Preiselbeertabletten helfen überhaupt nicht! Ebenso wenig wie die Medikamente gegen Krämpfe! Tröpfchenweise blubbert es soeben in die Einlage und ICH DUMMER TROTTEL hatte zuvor erst von der großen auf die kleine Einlage gewechselt!! Mein Körper zahlt es mir heim, was ich mit ihm mache, oder ich muss als verunglücktes Gesamtkunstwerk noch weiter bestraft werden für meine Gedanken!!

Ich darf mich nicht bewegen, wehe, ich stünde auf, ich würde mich von oben bis unten anpissen! Mit dem Rollstuhl durch die Wohnküche fahren, Sirup, Süßstoff und Glas holen.

Sei doch wenigstens froh, dass du vorsorglich die Inkontinenzmatte auf dem Rollstuhl liegen hast!“.

Haltet die Schnauze!!

In meinem Traum heute Nacht fuhr eine mir unbekannte Dame von der Volkshilfe gegen unsere Hauswand und riss dabei die Fassade auf. Sie entschuldigte sich, hatte Angst, bei Bekanntwerden dieses Unfalls gefeuert zu werden, worauf ich meinte, ich würde sie nicht verpetzen, dafür schenkte sie mir ein paar Zitronen. Unser Haus (eines der Gästezimmer im Gasthaus) war voll mit Vogelkäfigen. Jedes Mal, wenn einer meiner Gäste aus Versehen ins Wohnzimmer flog, fing ich ihn ein und behielt ihn kurzfristig zur Beobachtung in Gefangenschaft. Ich hatte Grünspechte und sogar einen Schwarzspecht; eine kleine Blaumeise drohte ständig zu sterben. Die Dame von der Volkshilfe hatte einen Lehrling mit. Vom Naturell her eigentlich ein Kandidat für vamos. Das arme Mädchen sagte mir, fürchterliche Angst vor Leinwänden zu haben. Ich entschuldigte mich, dass sie dann in unserem Haus auch noch Leinwänden mit so fürchterlichen Bildern darauf ausgesetzt sei. Ich träumte von meinem Bild, ich hatte die Leinwand ganz abgedeckt und sah, dass die Hose, das Hemd lediglich schlampig grundiert waren und die Arbeit von hunderten Stunden verschwunden! Ich träumte davon, dass der Rettungshubschrauber oberhalb vom Fußballplatz im Dorfzentrum landete. Meine Mutter kam unverzüglich vom Gasthaus oben runter gerannt, verfolgte die Frau von der Rettung, die soeben eine Akte in der Hand durchblätterte, um ihr diese schlussendlich aus der Hand zu reißen und selbst aufgeregt und hastig und wild darin zu herum zu blättern: „Ist es die Bianca?! Geht es um die Bianca??!“. Nein? Ich war oben im Gästezimmer, bzw. auf dessen Balkon und konnte runter gucken auf sie. Einerseits von dieser Warte aus und andererseits von der anderen Seite, oben am Hügelkamm. Wir hatten irgendeinen Besuch und ich weiß noch, dass ich zu diesem sagte: „Meine Fresse! Wie krank ist diese Frau eigentlich?! Ist ihr denn gar nichts mehr peinlich oder heilig?!“. Es wurde noch besser -der Notarzt war der ehemalige Amtsarzt, der mir jahrelang das Leben zur Hölle gemacht hat, indem er meinen Führerschein auf ein Jahr befristete und ich jedes Jahr das beschissene Ding neu beantragen musste, für über 100 € und zu dem Zeitpunkt bekam ich monatlich 360 € Kinderbeihilfe und musste zusehen, wie ich damit um die Runden komme! Und das alles, weil er mir eben unterstellte, ich würde im Zuge eines Selbstmordversuches mit dem Auto mindestens fünf Leute über den Haufen fahren. Und genau das sagte ich ihm jetzt vor versammelter Mannschaft, und da waren viele, viele Leute um den Hubschrauber herum, ins Gesicht! Ich zerstörte das Ansehen, das er mittlerweile genoss.

Der Rauschzustand wird immer heftiger, aber was auch immer ich mit dem Katheter anstelle, der Urin, der bereits im Harnleiter zu stecken scheint, läuft nicht ab. Schiebe ihn gar so tief, dass er unten anstößt und es wehtut. Morgen endlich nehme ich die neuen stärkeren Antibiotika.

19:03
Ich vermag kaum noch die Maus zu betätigen, das Korrigieren wird immer schwieriger. Mit der Dunkelheit vertieft sich der Rauschzustand, im Raum brennt lediglich die kleine Lampe an meinem Tisch, und natürlich der Bildschirm sowie das Teelicht im Stövchen. Nur einmal gerade eben holte mich die Panik ein, als ich in einem der Berichte noch einmal alles überflog, ein drittes Mal las. Genauso gut hätte es in eine dissoziative Absenz ausufern können…

19:19
Das Programm säuft erneut ab, es muss per Taskmanager beendet werden. In meinem Körper staut sich alles. Mein Bauch ist DICK aufgebläht und der letzte Schluck Tee wurde unverzüglich wieder ausgespuckt von meinem Magen. Als hätte ich den ganzen Tag gefressen. Meine Arbeit schnell noch erledigen…

19:36
Jetzt kommt die Panik. Ich höre oben seine Schritte, die Tür geht auf, meine Zeit hier allein geht zur Neige. Das macht mir Angst.
Geht es darum, dass etwas zu Ende geht? Das ist wie Sterben, wie der Tod von irgendetwas. Ihn bitten, ehe er in die Wanne geht mich noch von meiner gesamten Bekleidung an der unteren Hälfte meines Körpers zu befreien. Ich versuchte soeben aufzustehen… Dennoch lief es unkontrolliert in die Einlage, die längst übergehen muss. Die Panik peitscht nun in Wellen über mich hinweg, obwohl ich doch so schön betäubt wäre, direkt das einfach nur genießen möchte, nicht zu fühlen und nicht zu denken. Gleichgültigkeit. Aber ich darf nicht. Als er nach der Arbeit nach Hause kam, beichtete ich ihm auch, was ich vormittags angestellt habe. Bzw. was diese Gedanken mit mir gemacht haben. Zuvor noch den Satz: „Bitte, nimm es mir nicht übel, ich will dich nicht runterziehen oder so… Aber…“. Es war mir ein Bedürfnis, es auszusprechen. So wie auch das Gespräch direkt anschließend an die eigentliche Situation mit Daniela von der Volkshilfe vorerst verhindert hat, dass ich mich auch noch mit Tabletten abstellen musste. Aber selbst bei ihr entschuldigte ich mich anschließend und fragte verunsichert, ob ich zu viel geredet hätte, sie mit in mein Loch gerissen hätte, aber stellte ihr am Ende das Privileg aus, mich mit ihrer Geduld und ihrem Zuhören zumindest vorerst davor bewahrt zu haben, weiteren Mist zu bauen und dass ich ihr dafür sehr dankbar sei.

20:19
Erst sind es leise, dann laute Flüche, die durch den Raum gewettert werden!

DU DUMME SAU!!
DU STÜCK SCHEISSE!!
WOFÜR BIST DU DENN NOCH ZU BLÖD??
DU DÄMLICHE, SAUDUMME KRÜPPEL-FOTZE!!

In einem fort und ohne Unterlass! Erst versuchte ich ein neues Hemd anzuziehen, aber unfähig wie ich bin, bleibt es an der Haarspange hängen und ich bin minutenlang nicht in der Lage, mich aus dieser beschissenen Situation zu befreien. Unzählige Haare werden ausgerissen. Der nächste Schritt ein Schluck vom Tee, der Strohhalm knickt und die Physik sorgt dafür, dass mir die heiße Milchbrühe ins Gesicht spritzt, meinen ganzen Körper duscht, das Keyboard, den Fußboden, obwohl ich gerade eben erst von Sebastian gewaschen wurde!! Ich werde nicht fertig, mich selbst zur Sau zu machen!! Und zuvor? Ich saß am Wannenrand, er in der Badewanne und schrubbte mich von oben bis unten ab… Egal was ich sagte, jeder Satz wurde kommentiert, erst recht, als ich den Raum verlassen hatte…

Warum sagst du das alles?! Das interessiert kein Schwein!! Hör auf zu reden!!
HALT ENDLICH DEINE BLÖDE SCHNAUZE!!!!

Während ich das diktiere, bebe ich am ganzen Leib vor Selbsthass!! Mir ist schlecht vor Selbsthass!! Ich würde, ich könnte gleich damit fortfahren, womit ich kurz vor Eintreffen der Volkshilfe aufgehört habe!! Aber nein, keine Zeit… Und völlig verspannt, als hätte es die Massage mittags nicht gegeben.

30. September 2017, Samstag

10:00
Gestern war ein guter Tag, um der Autoaggression zu huldigen. 59,2 Kilo um 8:30 Uhr. Als hätte jemand die Waage manipuliert, oder mein Körper hat schlicht und ergreifend sein „Wohlfühlgewicht“ (seiner Meinung nach) erreicht und es spielt überhaupt keine Rolle, was und wie viel oder wie wenig ich esse. Immer diese vermaledeite Zahl! Aber noch zu gestern… Sebastian ging hoch, ich saß allein auf dem Sofa und guckte erst diesen Film über Magersucht zu Ende, gefolgt von einer Serie, auf die er keine Lust mehr hatte. Was mich dann getrieben hat? Panik? Oder der Umstand, ihn einmal anrufen zu müssen, ihn runter zu zitieren, und das nur, weil ich mein rechtes Bein nicht anwinkeln konnte, dieses wie ein Baumstamm an meiner Hüfte montiert schien. Weil ich für alles „zu blöd war“! Mich einmal umzusetzen, ein Akt sondergleichen! Da befand sich noch Potenzial in diesem Körper, noch ausreichend Gründe, ihn zu bestrafen. Es dauerte Minuten, ehe ich den Rollator dicht genug ans Sofa gezerrt bekam, dauerte eine Ewigkeit, ehe ich alles aus der Tasche nehmen konnte. Und dann gab es kein Halten mehr und ich schnitt und schnitt und schnitt fröhlich vor mich hin, dreißigmal…

Da beginnt meine linke Hand nervös zu klimpern. Das war erst der Anfang. Der Geburtstag muss doch gebührend „gefeiert“ werden, wie jedes Jahr. Mit vielen Überlegungen dahingehend, warum ich lebe und der Junge, den meine Mutter eigentlich bereits vor meinem Bruder bekommen hätte sollen, verabschiedete sich während der Schwangerschaft. Ob mein Geburtstag, das Thema Geschenke als Dreh- und Angelpunkt meiner Probleme zu werten sind.

Sebastian erscheint draußen auf der Terrasse, er war unser Mittagessen für morgen besorgen. Aus dem Wald kommt er zurück mit einem Korb voll mit Parasolen, Riesenschirmlingen. Wie Schnitzel gebacken seit meinen Kindertagen ein Hochgenuss, oder Highlight des Jahres. Früher rannten wir Kinder Ewigkeiten, um die Pilze zusammenzutragen. Und heute der Luxus, auf unserem eigenen Grundstück um diese Jahreszeit die Wiesen und Waldränder übersät mit dieser Köstlichkeit vorzufinden. Und irgendwie entsteht auch der Eindruck, keiner scheint sie mehr zu essen. Früher konnte man am Straßenrand beobachten, wie schnell sie gepflückt wurden. Umso besser für die Pilze und umso besser für uns… Aber jetzt erst einmal wieder auf die Arbeit konzentrieren.

11:16
Ich höre schon wieder „meine Playlist“, das Lied von Lisa Gerrard, die Klangkulisse, das Raunen… Ich trete leicht weg, sehe das Gasthaus, das leere Gasthaus, die Jalousien sind runter gelassen, schwarz und gelb gestreift, das Licht im Gastzimmer diffus. Ich höre die LKWs unten an der Bundesstraße vorbeidonnern… Und ganz plötzlich schreit in mir alles nach einer Überdosis, nach Koma und nach Blut…

Aber wenn du dann betäubt malst, geht’s dir gut, oder?“, Markus‘ Frage gestern. „Das kann man SO nicht sagen?“. Es ist und bleibt durchwachsen. Als sei dieses Musikstück der Schlüssel in mein Unterbewusstsein und das, was ich da zumindest schon einmal fühlen kann, scheint so schlimm zu sein, dass ich meine Standardstrategien auffahre. Auch meine Augen werden plötzlich ganz müde, träge, als stünde ich bereits kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Es fiel mir schwer, beim Dosieren morgens nur drei Hübe vom Tramal zu nehmen. Folgen meines Rauschzustandes waren mitunter die Doppelbilder abends. Natürlich war ich todmüde, erschlagen, geplättet von dem ganzen Chemiezeug. Ich konnte mir das Fernsehbild zweimal ansehen. Ob ich in einer halben Stunde spazieren gehe, es versuche? Eine Ausfahrt ist definitiv geplant, und wer weiß, eventuell packe ich meine „Drogen“ mit ein, um unterwegs, wenn der Schmerz auf meinen ehemaligen Laufstrecken zu groß wird, die Seele „medikamentös zu behandeln“. Jetzt aber zurück zur Musik…

12:00
Und plötzlich sehe ich meine Mutter sterben. Sebastian hat ihr gesagt, dass ich gerne zu den Pilzen einen Krautsalat haben würde. Ich sehe meine Mutter im Auto sitzen, wegen mir nach Jennersdorf fahren, voller Vorfreude, wiederum mir eine Freude bereiten zu dürfen… Um sie dann plötzlich mit offenen Augen tot im Auto liegen zu sehen… WAS IST DAS NUR FÜR EINE ELENDE SCHEISSE, WAS SIND DAS FÜR ZWANGSGEDANKEN??!! Natürlich stelle ich sofort wieder die Verknüpfung mit diesem schrecklichen Film als Kind her, dem kleinen Jungen, verstrahlt von einem Atomtest, der noch freudig zum Weihnachtsbaum rennt und dann tot auf seinen Geschenken liegt. Ist es von mir zu simpel gedacht, dass das die Erklärung sein könnte? Oder mich andererseits wieder mit der schweren Frage auseinandersetzen müssen, WAS HABE ICH DIESER FRAU ANGETAN???

Völlig aufgelöst, in Tränen hier sitzen und prompt beginnt es zu krampfen.

18:29
Wer hätte das für möglich gehalten, oder habe ich es nicht bereits vorausgesagt? Der Spaziergang war anfangs mies. Von der Qualität her natürlich nicht so mies wie jener gestern. Aber dann, ja dann wurde es besser und besser und noch besser. Ich erreichte etwa 850 m und 1 km wäre auch noch locker drin gewesen. Etwa 72 Minuten. Aber kaum von Sebastian abgeholt, kaum auf dem Sofa, wieder dieses miese Gefühl…

Es darf dir nicht gut gehen!!

Und genau das sagte ich dann auch Sebastian. Er verstand es nicht, schüttelte den Kopf und war ohnehin mehr mit dem Fußballspiel beschäftigt. Aus dem Grund nahm ich mittags 20 Tropfen und etwas später, bevor ich mich mit dem Rollstuhl auf den Weg machte, weitere 20. Davon habe ich nichts gespürt, was mich ein wenig verärgerte. Aber die Dose mit den Klingen hatte ich eingepackt, als er mal kurz nicht in meine Richtung sah. Es war ein schöner Ausflug, streckenweise eiskalt und ich entsetzt über mich selbst, wie man die jahrelang antrainierte Abhärtung einfach so in kürzester Zeit verlieren kann. Ich bin zur richtigen Tussi verkommen! Eine Frostbeule! Ich wurde gar nicht fertig, die eingepackten Schichten peu à peu überzustreifen. Die Reise ging dieses Mal nach Oberhenndorf, zur Therme, daran vorbei und schlussendlich am Bach entlang. Direkt nach der Therme fuhr ich in eine kleine Seitenstraße, die rechts den Hügel hinaufführte und links und rechts mit Wald von der restlichen Straße abgeschirmt war. Erst entleerte ich den zum Bersten gefüllten Katheterbeutel und entsann mich dann meiner Spielzeuge. Davor rief noch Sebastian an und fragte, ob alles in Ordnung sei. Genau in dem Moment, als ich die Klinge aus der Dose nahm und den linken Ärmel hochzukrempeln versuchte, was mit all diesen Schichten gar nicht so einfach war. Also telefonierte ich kurz, machte Späßchen, legte auf und verpasste meinem Unterarm sechs neue Schnitte. Als die Fahrt dann weiterging und die sonst so ruhige Straße am Bach entlang aufgrund irgendwelcher Umbaumaßnahmen zur Umfahrung erklärt worden war, musste ich einmal kurz halten. Der Katheterbeutel war verrutscht, der Schlauch schliff auf dem Boden. Erst fuhr ein Grazer an mir vorbei, hielt wenige Meter nach mir und stieg aus, um mich zu fragen, ob ich Probleme hätte. Gleichzeitig blieb das nächste Auto, das von hinten kam, direkt neben mir stehen. Josef, der Taxifahrer vom letzten Mal: „Bianca, alles in Ordnung?“. Ich war kurzfristig überfordert mit so vielen Hilfsangeboten auf einmal. Meinte zum Städter: „Das ist sehr nett, aber nein, alles in Ordnung…“, und ich pfriemelte weiter an dem Knoten herum. Der Mann im Anzug, etwa unseren Alters, sah mich an: „… Das hier ist nur eine etwas ungünstige Stelle, wo Sie stehen…“. Schlussendlich ließ ich mir doch von ihm helfen. Wusste er, was er da anfasst? Wenig später kam Sebastians zweiter Anruf, wie gewünscht. Er sei gerade in Königsdorf und da mir ohnehin schon eiskalt war, ließ ich mich direkt abholen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Der Ausflug war schön. Aber egal ob ohne oder mit Musik… Ich erinnerte mich entweder an meine Kindheit, an Ausritte mit Kolga oder ans Laufen. Ganz speziell an diesen einen Lauf mit 21 nach einer Chemotherapie, den direkten Tag danach, als ich hier diesen Berg erklommen hatte, meine erste Halbmarathondistanz ohne jegliche Pause zurücklegen konnte. Um am Tag darauf unter der Masse an Nebenwirkungen vom Endoxan zusammenzubrechen, und das für die nächsten Tage. Also mein stetiger Begleiter auf dieser Reise die Wehmut. Aber die Schnitte schmerzten leider nicht. Darum nennt man es ja auch „Ritzen“ und nicht „Aufschlitzen“ in der Fachsprache.

Was ich jetzt geliefert habe? Volle Dosis vom Opioid und obendrauf eine Gewacalm. Wenn schon denn schon! Vor mir eine Schale Tee, die einzige Lichtquelle die kleine Kerze darunter im Stövchen. Die Augen werden müde und Martha hat sich jetzt nach dem Abendessen zum Glück das Lamentieren erspart; sie muss sich irgendwo hingelegt haben. Der Heizstrahler neben mir holt die Lebensgeister zurück in meinen erfrorenen Körper. Die Stimme wird heiser, der Hals kratzt. Wunderbar!

Draußen wird es Fenster, 19:10, mein Rücken total verspannt, ich unbeweglich. Die warme Luft vom Stromfresser erreicht nur unzureichend sein Ziel. Der Tee ist viel zu süß und augenblicklich habe ich mehr Lust, eines meiner Videos zu gucken, anstatt aktiv etwas zu unternehmen. Zu müde, zu geschlaucht…

20:05
Erst kommt Sebastian von oben runter, flutet binnen Minuten den Raum mit dermaßen viel Leben, dass ich damit nicht klar komme, die Betäubung verabschiedet sich. Er sagt, er geht in die Wanne, schließt die Tür hinter sich und aus heiterem Himmel krampft die Blase und ich pisse mich von oben bis unten an… Das Sitzkissen bekommt etwas ab, unter mir auf dem Boden eine kleine Pfütze…

DU BIST DAS LETZTE!!!!

Hatte ich im Video doch gerade eben versucht, Markus‘ Ratschlag anzuwenden. Liebenswürdiges an mir zu entdecken, zuzulassen und Rumpelstilzchen Paroli zu bieten. Mit ihm zu diskutieren…

Aber nun liegt das besudelte Tuch auf meinem Schoß, ich hasse mich!! Noch ein Gewacalm oder noch mehr Tramal? Mich für die schnellere Variante entscheiden; sechsmal die Pumpe betätigen. Ich weiß ja nicht, wie lange er heute badet, dementsprechend gleich zur Tat schreiten, die Dose aus der Tasche holen, der Arm sollte dank Heizstrahler warm genug sein! Die Tücher arrangieren. Die Rasierklinge in die Obhut meiner Wut übergeben. Mach es ordentlich!

Im Nu sind es 30 Schnitte, aber das Blut läuft kalt den Arm hinab. Der Harnstreifen gerade eben ergab kein eindeutiges Bild davon, was mit mir nicht stimmt. Wer weiß das schon, vielleicht alles die Psyche… (Sage ich mit einer leicht hysterischen Stimme.) Nein, der Arm ist nicht anständig durchblutet, die Gefäße zusammengezogen, der Körper wehrt sich gegen meinen Angriff. Der Blick fällt auf das Schlachtfeld, auf die komplett mit Blut überzogene Oberseite vom linken Unterarm, nur noch an den Enden der Wunden treten tiefrote Perlen hervor. Aber brennt es zumindest? Bei jedem Schnitt mir selbst gesagt: „Stell dich nicht so an, den Schmerz hältst du aus!“. Ich hätte auch eine neue Klinge wählen können. Aber das Tramal senkt zumindest allmählich den Vorhang. Den ebenso besudelten Schlauchverband überstreifen und meinem Liebsten nachher wieder ein oscarwürdiges Schauspiel darbieten. Tief durchatmen. Alles wegräumen. Auf dem Tuch zumindest ein paar Schichten tiefer gehend der Fleck. Den Ärmel lang ziehen. Nachts muss ein Armwarmer meine Schandflecken verbergen. Er fragt nicht, er kann es sich denken, und ich will aber auch nicht, dass er nachbohrt…

21. September 2017, Donnerstag (Trigger!)

8:54
59 um 6:45. Ein Wunder? Stützstrümpfe und Entwässerungstabletten doch am Arbeiten? Mein Abendessen waren Weintrauben und ein fertiger Eiweißdrink. Natürlich gefolgt von ein paar Bonbons; die kann ich mir nicht verkneifen. Die Zahn-Genossenschaft dankt es… Seit über einer halben Stunde murkse ich am Schmetterling herum, soeben auf der Suche nach dem perfekten Kiwigrün. Der Himmel ist wieder blau, der Weltuntergang scheint abgewandt, und doch trotz aller ausgestrahlten Ruhe rumort es in mir. Ich weiß nicht, mit wem ich es heute zu tun habe. Ist es dieselbe Dame vom letzten Mal, sehe ich mich gezwungen, sehr viele Dinge anzusprechen. Irgendwie gibt es immer wieder Probleme damit, was ich sage, was ich möchte und ganz besonders was ich nicht möchte und mein Gegenüber meint es gut, macht es anders, macht Dinge, die ich selbst als überflüssig erachte und schlussendlich bin ich diejenige, die dann die extra Zeit bezahlen muss… Aber so konkret ansprechen werde und kann ich das nicht. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich ohne Betäubung den Vormittag nicht überstehen kann. Die Ratio, Solveig, wer oder was auch immer, agiert aus dem Hintergrund, ganz leise…

Wenn sie erst mal da sind, ist alles halb so wild…

Jedes Einatmen gibt mir eine Vorstellung von der Bürde, die ich mir mit diesen Terminen auferlegt habe. Ich sollte, ich MUSS wieder einen Plan schreiben, was wo gemacht werden muss. Und als hätte ich das auch noch gebraucht, knackt es hinten aus heiterem Himmel. Verschiebung im Holz, die Katzen unter der Treppe, die Wärmepumpe und noch 50 Minuten bis zum Eintreffen… Atemlosigkeit und überhaupt keinen Bock, die Harte, die Starke zu markieren. Das bin ich nicht. Aber was ist das Mittel meiner Wahl? Gewacalm, Psychopax, Temesta oder ein fetter Schuss Tramal, eventuell noch mit Hydal abgeschmeckt und verfeinert? Mein Herz beginnt zu rasen, während 1 Stunde Arbeit voll wird. Das Einsetzen der Wirkung dauert mitunter eine halbe Stunde. Mich noch mit schlechtem Gewissen herumschlagen? Die Stoppuhr kurz pausieren und mir meine „Waffen“ parat legen. Warum nicht auch aufschlitzen? Das aktuelle Oberteil steht meiner Selbstschädigung „offen gegenüber“. Ich halte die Fettschicht auf meiner fetten Visage nicht aus. Aber derartige Ausflüge ins Bad, Zähneputzen, hebe ich mir alles auf für den Zeitraum, in dem ich nicht mehr allein bin.

Andererseits: Was soll der SCHEISS?! Die neue Mitarbeiterin ist doch super! Aber das ist eben das Problem, das entscheidende Problem. Ich könnte auch keine gute Freundin anstellen! Natürlich wird man sich super unterhalten, aber dabei bleibt die Arbeit auf der Strecke und für mich wird es immer teurer. Da wäre es besser, jemand käme, den ich nicht leiden kann (obwohl es gerade niemanden bei der Volkshilfe gibt, der diesen Anforderungen „entspricht“). Da hätte ich zwei Fliegen mit einer Klatsche geschlagen: Ich müsste mich weniger unterhalten UND mein chemischer Abschuss wäre aufgrund einer noch größeren Panikattacke offiziell gerechtfertigt!!

9:27
Was denke ich mir dabei, als ich die kleine, braune Glaspumpe am Mund ansetze, um sie sodann achtmal zu betätigen? Gar nichts? Ist mein Kopf leer? Rechtfertige ich es vor mir damit, im Normalgebrauch nicht einmal auf eine volle Dosis zu kommen mit meinen lediglich 2-3 Hüben? Die Zeiteinteilung ist gut. Da geht sich dann direkt noch Laufband aus… Und schon, 5 Minuten später, senkt sich eine angenehme Schwere auf Kopf und Schultern. Wenn alles glatt läuft, sollte die Umgestaltung meiner Tagesroutine Entgleisungen dieser Art überflüssig machen. Wenn Sonja Freitag um 11:00 Uhr, so sie es einrichten kann, kommt, die Volkshilfe Donnerstag um 10:00 Uhr und ich spätestens um 10:45 am Waschbecken stehe, um dann die Hausfee samt Angst hinter mir zurückzulassen und den Donnerstag, als dritten Tag der Woche, ebenfalls dafür nutzen zu können, Sebastian entgegen zu gehen… Ja dann könnte alles besser werden. Zumindest in meiner Fantasiewelt, in der schlechtes Wetter Spaziergängen keinen Abbruch tut, und ebenfalls keine körperlichen Einbrüche mich sabotieren können. Ich meine Aufträge erteile und dann abhauen kann; und alleine, läuft die Arbeit immer viel schneller ab.
Die Schwere kommt in den Armen an. Wonach ist mir? Musik oder Zoosendung?

14:55
Der Rausch war gut, der Rausch half mir, alles etwas lockerer zu sehen, „genießen zu dürfen“. Aber auf dem Laufband machte sich davon nichts bemerkbar und wie am Vortag kam es mehrmals zum Notaus, abruptem Ende und immer steiferen Gliedern. Bis sich meine Zehen vorne beidseits völlig verkrampft, gekrümmt hatten… Ich gab auf. Die Dröhnung hielt lange, bis ins Mittagessen hinein. Sebastian hatte Salat mitgebracht, ich erzählte von meinem Vormittag, davon, dass ich Sonja so knuffig finde, dass ich sie am liebsten drücken wollte… Plötzlich kamen die Tränen… Wie auch jetzt…

Mit DIR will keiner befreundet sein! Du bist das Letzte!!

Sebastian knurrte: „Hör auf, so etwas zu sagen…“. Der nächste Menüpunkt Panik, Panik, Panik. „Auch wenn ich vormittags eine Überdosis genommen habe, werde ich es ausgleichen, mittags auf die reguläre verzichten und abends vielleicht auch!“…

BLABLABLA!!

Ich hatte mir erlaubt zu schlafen, bis mich der Postbote aus dem Schlaf klingelte. Ich wollte liegen bleiben. Ich durfte nicht. Die Sonne kommt zum Vorschein. Rausfahren? Drinnen bleiben? Malen? Video???

Ich glaube, ich muss mich verletzen. Mich aus dieser Verstrickung herausschneiden. Ich sitze hier, bewege mich nicht, beinahe wie erstarrt, nur meine klimpernden Finger verraten dezent, wie massiv ich in mir drinnen schon wieder rotiere. Die Arme wären schön warm. Aber alle Strümpfe, alle Stoffe hängen unter der Treppe, neben der Wärmepumpe. Zum Glasfläschchen greifen. Ohne Entscheidungshilfe komme ich da nicht mehr raus.

So einen schönen Tag vergeuden…“.

War nicht erst gestern Montag und nun ist schon wieder Freitag im Anmarsch? Läuft die Zeit davon. Ich komme zu nichts. Die Sanduhr des Lebens läuft ab.

Nach vier Hüben innehalten. Der Blick geht glasig und leer nach draußen wieder ins Leere. Noch einmal ansetzen und weitere 20 Tropfen. Was darf ich, was darf ich nicht, was sagen, was verschweigen, was denken und was besser vergessen, atmen oder ersticken, leben oder sterben…

Eine Schale mit neuem Schwarztee mit Milch. Viel zu süß. Eine Fressattacke würde vermeintlich Abhilfe schaffen. Gestern bei Sebastians kurzer Shoppingtour eine Tafel Schokolade bestellt. Zwei Rippen gegessen, den Rest könnte ich mir auf einmal rein stopfen und ohne große Probleme wieder aus dem Körper entfernen. Die Augen glasig, immer noch, die Stimme dezent gebrechlich. Ist es ein gutes Zeichen, ein Indiz dafür, mein Leben zurückzuerobern, dass ich nun darum trauere, keine Freunde zu haben? Nicht haben zu können, zu dürfen? Sehr, sehr einsam… Wer hätte das gedacht. Prioritäten setzen? Dem Bild, den restlichen Monaten, die mir für das Malen noch bleiben, den Vorrang geben? Innerlich zerrissen, spüre ich im Moment ganz präsent wie heißes Blut durch meine Unterarme in die Hände gepumpt wird.

Auf dem besten Weg wie ein Säufer zu werden!!

Die Sonne strahlt noch kräftiger und Kindheitserinnerungen überfluten mich. Eins, zwei, drei, vier, eins, zwei… Unterdes läuft die Zeit gnadenlos weiter ab, 15:20. Noch einmal ein kurzer Gedanke an das, was noch zu tun wäre, und die Panik sticht mich hinterrücks ab. Warum sterbe ich nicht?

Den ganzen Krempel zur Seite räumen, einen kräftigen Schluck aus der eiskalten Wasserflasche und die Leinwand vor mir positionieren, die Brille wieder aufsetzen. Die linke Hand eine Faust, will den Lichtschalter nicht betätigen. Schlagartig Kopfschmerzen. Die Bewegungen verlangsamen, selbst das Blinzeln wie in Zeitlupe. Draußen das Rauschen vom Wind evoziert Wehmut. Laufen, ausreiten, Streifzüge durch den Wald, Kastanien und bunte Blätter sammeln, Pilze suchen, Drachen steigen lassen… Der Schmerz zerquetscht mich und drängt mich, einen Blick auf meinen vernarbten Unterarm zu werfen. Als brächte sich mein Körper vor mir in Sicherheit -das Blut ist aus den Händen gewichen, sie sind klamm und wie abgefroren mit einem Mal.

Die Schälchen abdecken, die Stoppuhr starten und Überlebensversuche wagen…

16:14
Die Augenlider schwer, so schwer und die Erinnerungen hängen bei diesem Licht wieder bei meiner Oma in Graz fest, ihrer Krebsbehandlung, die ich als solche nicht wahrgenommen habe, keiner hat es mir je wirklich erklärt, die Besuche im Krankenhaus, und Schulanfang, ich rieche neue Bleistifte, Buntstifte, neues Papier, Radiergummi… Mit dem Rollstuhl ins Badezimmer, die Arme baden. Ich kann, ich will es nicht anders. Nach Gründen fragt man vergeblich. Weil ich gestört bin. Weil ich unterstreichen muss, warum ich der Überforderung, der Angst vor Verantwortung und erst recht der Panik vor Sterbefantasien wegen keine Freunde habe.

16:26
Halb im Waschbecken hängend, beinahe einschlafen. Ich habe keine Lust mehr mich zu fragen, warum ich das tue. Markus betonte gestern wieder, dass es noch einmal richtig schlimm werden würde, aber dann… Ja dann käme die Besserung. Ich sei schon so weit, hat er gesagt. Gefühlt und rational sehe ich mich selbst noch nicht einmal am Anfang. Sebastian soll mir die Selbstverletzung nicht vereiteln oder verbieten, aber anerkennen, dass es nicht gut ist, was ich da mache. Oder irgendwie so ähnlich; natürlich habe ich es wieder vergessen. Da ist es wieder: „Er solle es nicht ignorieren oder verdrängen.“. Was ändert das? Die Haut besteht nur noch aus Schuppen. Der erste Schnitt wird entscheiden… Um dabei zu vergessen, dass ich mich erst durch alle vier Kanten durchtesten muss. Nummer 1 versagt, ebenso 2 und 3. Das Blut ist zu dick. Die Klinge zu verbraucht. Die Haut abgenutzt. Achtmal Kinderkacke. An die sieben Stück Rasierklingen in eine der kleinen Schachteln packen. In meiner Büchse der Pandora aufräumen. Der Lichteinfall erinnert mich an unendlich viele Momente in den zurückliegenden 20 Jahren, in denen ich bei eben diesem Licht drinnen oder draußen saß und mich selbst in meiner Wertlosigkeit bestätigt habe. Das nächste Stück, es war die zweite Klinge, die noch in einem Kuvert steckte, erweist sich spätestens bei der vierten Kante als brauchbar und dabei vergessen, wie viele Schnitte es sind. 16? Über die zuvor sehr unmotiviert „benutzte“ Fläche mit der scharfen Seite zu schneiden, führt mich dem Schmerz etwas näher. Von wegen dickes Blut! Ja, in ganz dicken Tropfen quillt es nun aus den Wunden! Der vorbereitete Strumpfverband wird zu kurz sein. Ich möchte wenigstens einmal genäht werden müssen. Unter meinem Arm, die Lache aus Blut auf einem der frisch gewaschenen Tücher, wird größer und größer. Wenn ich mit der alten Klinge wieder und wieder über die Seelenventile schabe, spüre ich an den sich dicht über die Rinnsale hinweg bewegenden Knöcheln meiner Finger die Hitze von meinem Lebenssaft. So lässt sich durchaus eine Anämie erzeugen. Hätte ich bloß einen Eimer genommen, um sehen zu können, um welche Menge es sich hier handelt, was ich anrichte. Sind es 30 Schnitte? Ich weiß es nicht…
Doch allmählich fühlt sich das Blut, wenn es gesammelt in einem dicken Strom den Unterarm hinabläuft, immer kälter an. Ich darf mir gratulieren. Ein Massaker diesen Ausmaßes habe ich schon länger nicht mehr zustande gebracht! Leben kriecht in meine ermüdeten Glieder, ich werde wach. Die Hände werden kalt. Das Spektakel neigt sich dem Ende zu. Aber jeden Tropfen auskosten, nichts vergeuden. Raus mit dem Dreck! Raus mit der Schuld! Hätte ich das alles auf eine große Leinwand laufen lassen, das unschuldige Weiß kontaminiert… Es wird 16:51. Ich bin Belastung genug; ins Badezimmer fahren, einen längeren Verband überziehen, meine Hände waschen, oberflächlich von ihrer Beschmutzung befreien und alle sonstigen Spuren beseitigen. Damit er nach Hause kommt, Witze machen, Lieder singen und lachen kann. Ich bin tot…

Ein winziger Blutfleck auf meiner dunkelbraunen Stoffhose. Den bösen Geistern ein Opfer erbracht, und doch stehen sie wieder da, schauen mich an, wollen mich brechen. Angst. Angst ohne Namen. Ob ich noch malen kann, steht in den Sternen… Warum ich das alles wie schon so oft zuvor aufschreiben, diktieren musste, bleibt ein heiß diskutiertes Pflaster, auf dem sich meine inneren Gestalten, die Panik und die Schuldgefühle „artgerecht“ austoben können. Brigitte meinte gestern beim Vorlesen meiner Träume: „Das ist so gut geschrieben, man kann richtig gut zuhören. Vielleicht solltest du ein Buch schreiben.“. Und wer würde dann diesen überdimensionalen DRECK lesen wollen? Vielleicht deswegen hier im Kleinen, als Test im Reagenzglas oder so in der Art…

Die Farben zum fünften Mal mit Wasser besprühen, um sie vor dem Austrocknen zu bewahren. Noch scheint die Sonne. Noch…

18:24
Absaufen, mich für einen Atemzug wieder fangen, erneut absaufen usw. und so fort. Kurzfristig in Erwägung gezogen, Markus eine Nachricht zu schicken. Das, was mir gerade durch den Schädel geht, hört sich wie folgt an: „Erst bringe ich alle anderen um, dann mich selbst oder der Zustand bringt mich bereits davor um, ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich halte es nicht aus, selbst wenn ich erst an der Oberfläche gekratzt habe, ich kann das nicht durchstehen, ich will alles abbrechen, alles beenden, aus, Schluss! Um mich dann bestmöglich irgendwo zu verkriechen und nie wieder raus zu kommen!“. Die Finger klimpern ohne Unterlass. Die Anspannung stranguliert mich. Dabei könnte der Rausch so nett sein. Aber kaum lasse ich mich etwas tiefer sinken, zerrt schon etwas an meinen Füßen, zerrt mich in dunkelschwarze Untiefen hinab. Vielleicht ist auch der Blutzucker daran beteiligt, vielleicht geht es mir besser, wenn ich etwas gegessen habe. Aber der Gedanke an Essen tritt die dazugehörige Paniklawine los, obendrauf auf das fragwürdige Gesamtkunstwerk. Erwähnt, dass Brigitte sowie Markus meine Träume gestern äußerst positiv zu deuten wussten? Vielleicht bedarf es auch deswegen dieses Rückschlags, die Retourkutsche, Ermahnung, etc.
Dabei könnte es doch so einfach sein: es mir auf dem Sofa bequem machen, Augen zu, gute Nacht. Ehe ich mittags eingeschlafen bin, schwirrten erneut kunterbunt Erinnerungen aus frühester Kindheit vor meinem inneren Auge herum wie Mückenschwärme. So flüchtig, so klein, kaum zu fassen. Tut sich etwas und ich bin die einzige, die es nicht erkennen kann/will oder gar darf? Für mich, gefühlt, steht alles still, und ich habe mich längst viel zu weit aus dem Fenster gelehnt, als mir zusteht.

DSCN1716
(2008)